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Der u.a. für das Schenkungsrecht zuständige X. Senat beim Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 20.10.20 (X ZR 7/20; BGHZ 227, 188) eine Entscheidung getroffen, die unerwünschte zivil-, steuer- und sozialrechtliche Auswirkungen nach sich ziehen kann:

Leitsatz des BGH, X ZR 7/20:

„Der Verzicht auf ein dingliches Wohnungsrecht stellt grundsätzlich auch dann eine Zuwendung aus dem Vermögen des Wohnungsberechtigten dar, wenn dieser im Zeitpunkt des Verzichts an der Ausübung des Rechts dauerhaft gehindert ist.“

Der Sachverhalt (verkürzt):

Der Träger der Sozialhilfe macht gegen die Beklagte aus übergegangenem Recht einen Anspruch auf Ersatz des Werts einer Schenkung wegen Verarmung geltend.
Der Vater hatte seiner beklagten Tochter eine Immobilie gegen Einräumung eines lebenslangen, unentgeltlichen und auf Dritte nicht übertragbaren Wohnungsrechts an einer Wohnung des Hauses veräußert. Nachdem die Eltern später in ein Pflegeheim gezogen waren, verzichteten sie gegenüber der Tochter auf das Wohnungsrecht. Nachdem das Wohnungsrecht im Grundbuch gelöscht wurde, veräußerte die Tochter die Immobilie.
Da die Immobilie ohne die Belastung durch das Wohnungsrecht zu einem um 41 T€ höheren Erlös veräußert werden konnte, verlangt die Klägerin nun Zahlung dieses Betrages an sich.
Das Landgericht hat die Klage ab- und das OLG die Berufung zurückgewiesen. Die vom OLG zugelassene Revision hatte Erfolg.

Die wesentlichen Entscheidungsgründe:

Bei dem Verzicht auf das Wohnungsrecht handele es sich um eine Schenkung im Sinne von § 516 I BGB, so der BGH. Der Verzicht habe zur Folge, dass das betroffene Grundstück von einer Belastung frei werde. Die darin liegende Zuwendung erfolge aus dem Vermögen des Verzichtenden, weil dieser eine ihm zustehende Rechtsposition aufgäbe. Dies reiche für eine Zuwendung aus dem Vermögen des Schenkers im Sinne von § 516 I BGB grundsätzlich aus.
Eine Entreicherung setze nicht zwingend voraus, dass der zugewendete Gegenstand für den Schenker einen wirtschaftlichen Wert habe; es reiche nach § 516 I BGB aus, dass die Zuwendung aus dem Vermögen des Schenkers erfolge.
Zwar könne es an einer Entreicherung im Sinne von § 516 I BGB ausnahmsweise fehlen, wenn ein Recht löschungsreif sei, die Zustimmung zur Löschung im Grundbuch also nur dessen Berichtigung diene. Diese Voraussetzung liege bei einem Wohnungsrecht etwa vor, wenn das Recht niemandem mehr einen Vorteil böte. Ein nur in der Person des Berechtigten liegendes Ausübungshindernis führe jedoch nicht generell zum Erlöschen des Rechts, selbst wenn das Hindernis auf Dauer bestehe, etwa weil der Berechtigte in ein Pflegeheim aufgenommen würde und nicht damit zu rechnen sei, dass er in die Wohnung zurückkehren könne (vgl. BGH NJW 2007, 1884 Rn. 13; NJW 2012, 3572 Rn. 6).
Da im Streitfall lediglich ein in der Person der Berechtigten liegendes Ausübungshindernis vorlag und keine besonderen Umstände vorgetragen oder ersichtlich waren, aufgrund derer das Wohnungsrecht ausnahmsweise als völlig wertlos angesehen werden konnte, war der Wert der Bereicherung nach § 528 Abs. 1 BGB herauszugeben.

Wie hoch ist der herauszugebende Wert der Bereicherung?

Beiläufig beantwortet der BGH noch, auf welche Höhe sich der Wert der herauszugebenden Bereicherung beläuft (Rn. 39 ff.): Der Wert der Bereicherung „besteht im Falle eines Verzichts auf ein Wohnungsrecht nicht im Wert des Wohnungsrechts für den Berechtigten, sondern im Wert, den der Verzicht für den Beschenkten hat. Dieser Wert spiegelt sich regelmäßig in der Erhöhung des Verkehrswerts des Grundstücks bei Wegfall des Wohnungsrechts, da nur der sich hieraus ergebende Wertzuwachs dem Beschenkten zugutekommt (BGH NJW 2018, 3775; NJW 2000, 728, 730).“

Anmerkung von Fachanwalt für Erbrecht Ingo Lahn, Hilden:

Die Entscheidung betrifft eine in der Praxis sehr häufige vorzufindende Fallkonstellation, in der Wohnungsrechtsberechtigte wegen Umzugs in ein Pflegeheim ihr Wohnungsrecht zwar nicht mehr ausüben können, die Eigentümer ihre Immobilie aber immer noch nicht frei verwerten können, da der Berechtigte der Veräußerung oder Vermietung widersprechen könnte – und sei es nur wegen einer Abfindungszahlung. Leider finden sich in ebenso vielen Fällen keinerlei vertragliche Regelungen, was mit dem vorbehaltenen Wohnungsrecht geschehen soll, sobald die Berechtigten dieses dauerhaft nicht mehr ausüben können oder wollen.

Verzichten dann z.B. die Eltern gegenüber dem beschenkten Kind auf das Wohnungsrecht, hat dies fatale Folgen: Zum einen kann das Geschenk bzw. sein Wert im Falle der Verarmung gem. § 528 Abs. 1 BGB zurückgefordert werden, zum anderen unterliegt der Verzicht der Schenkungsteuer, was sich bei der Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe innerhalb von zehn Jahren (§ 14 ErbStG) nachteilig auswirken kann. Außerdem können Pflichtteilsergänzungsansprüche ausgelöst werden.

Aufgrund dessen und spätestens seit dieser BGH-Entscheidung sollte in jedem Übertragungsvertrag mit Wohnungsrechtsvorbehalt eine Pflegeheim- oder Wegzugregelung enthalten sein, nach der entweder das Wohnungsrecht auflösend bedingt ausgestaltet ist oder sich der Übergeber verpflichtet, das Wohnungsrecht entschädigungslos zur Löschung zu bewilligen, sobald dieses für einen näher festzulegenden Zeitraum nicht mehr ausgeübt worden ist, ohne dass dies von Übernehmerseite zu vertreten wäre.

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