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Pflichtteils­er­gän­zungs­an­spruch wegen Schen­kungen

Auswirkung lebzeitiger Schenkungen des Erblassers auf den Pflichtteil

Der Pflichtteilsergänzungs­an­spruch ist ein selb­stän­di­ger, außer­or­dent­licher Pflich­tteils­an­spruch, mit dem der Pflicht­teils­be­rech­tigte dann, wenn der Erblasser zu Lebzeiten Schenkungen an Dritte gemacht hat, als Ergänzung seines Pflichtteils den Betrag verlangen kann, um den sich sein Pflichtteil erhöht, wenn der Wert des verschenkten Gegenstands dem realen Nachlass fiktiv hinzugerechnet wird.

Damit werden Pflichtteilsberechtigte so gestellt, als wären verschenkte Gegenstände noch im Nachlass vorhanden. Allerdings gilt dies nicht schrankenlos: Es ist eine Wertabschmelzung und eine Ausschlussfrist von 10 Jahren zu beachten!

Mit dem Pflichtteilsergänzungsanspruch will der Gesetzgeber verhindern, dass der Erblasser durch lebzeitige Schenkungen versucht, seinen Nachlass auszuhöhlen oder sich vermögenslos zu stellen, um so den Pflichtteil unliebsamer naher Angehöriger zu vermindern oder auszuschließen.

Beachte: Der Pflichtteils­er­gän­zungs­an­spruch ist vom Bestehen eines ordent­lichen Pflicht­teils­an­spruchs unabhängig. Er kann auch von einem pflichtteilsberechtigten Erben oder Vermächtnisnehmer geltend gemacht werden, wenn der Gesamtpflichtteil aus dem fiktiven Nachlass den Wert des Erbteils oder Vermächtnisses übersteigt.

Die häufigsten Fragen zum Pflichtteils­er­gän­zungs­an­spruch:

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Der Pflichtteilser­gän­zungs­an­spruch in Frage und Antwort:

Wer kann den Pflicht­teils­er­gän­zungs­an­spruch fordern?

Nur ein Pflichtteilsberechtigter, also jemand der zum pflichtteilsberechtigten Personenkreis gehört (Abkömmling, Ehegatte – Eltern, wenn es keine Abkömmlinge gibt), kann auch einen Pflichtteilsergänzungsanspruch haben (§ 2325 Abs. 1 BGB: „…kann der Pflichtteilsberechtigte…“).

Nicht erforderlich ist dagegen, dass der Pflichtteilsberechtigte auch einen ordentlichen Pflichtteilsanspruch haben müsste, also enterbt oder zu gering bedacht wurde oder ausnahmsweise ausgeschlagen durfte, um den Pflichtteil geltend zu machen.
Da der Pflichtteilsergänzungs­anspruch als rechtlich selbständiger außerordentlicher Pflichtteilsanspruch vom Bestehen eines ordentlichen Pflichtteilsanspruchs unabhängig ist, kann er auch einem Pflichtteilsberechtigten zustehen, der gesetzlicher oder gewillkürter Mit- oder Alleinerbe oder Vermächtnisnehmer geworden ist oder gar die Erbschaft ausgeschlagen hat. Grundvoraussetzung ist auch hier, dass der Erbe oder Vermächtnisnehmer abstrakt pflichtteilsberechtigt ist, also zum pflichtteilsberechtigten Personenkreis gehört, und ein Pflichtteilsanspruch nicht aus anderen Gründen ausgeschlossen wäre.

Hinweis von Fachanwalt für Erbrecht Ingo Lahn:

Die Tatsache, dass es sich trotz der Ähnlichkeit des Pflichtteils- und des Pflichtteilsergänzungsanspruchs um zwei selbständige Ansprüche handelt, kann sogar dazu führen, dass die Ansprüche unterschiedlich verjähren.
So hat der BGH (BGHZ 132, 240) schon 1996 klargestellt, dass eine zur Hemmung (damals: Unterbrechung) der Verjährung erhobene Klage auf Feststellung der Pflichtteilsberechtigung nicht auch die Verjährung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs hemmt, wenn die beeinträchtigenden Schenkungen im Kern nicht bereits Gegenstand des Feststellungsprozesses gewesen waren.

Von wem kann Pflichtteilsergänzung eingefordert werden?

Schuldner des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist primär der Erbe, mehrere Erben haften als Gesamtschuldner.

Nur wenn der Erbe nicht zur Pflichtteilsergänzung verpflichtet ist, etwa weil der Nachlass zur Erfüllung des Anspruchs nicht ausreicht oder gar überschuldet ist, kann und muss sich der Pflichtteilsberechtigte subsidiär an den Beschenkten halten.
Zur Haftung des Beschenkten hier weiterlesen!

Unter welchen Voraussetzungen kann Pflichtteilsergänzung verlangt werden?

Ein Pflichtteilsergänzungsanspruch kommt nur bei lebzeitigen Schenkungen des Erblassers in Betracht.

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch errechnet sich dann aus der Differenz von Gesamtpflichtteil (berechnet nach dem fiktiven Nachlass) und

  • dem ordentlichem Pflichtteil (beim enterbten Pflichtteilsberechtigten; s.u. Beispiel 1) oder
  • einem hinterlassenen Erbteil (beim pflichtteilsberechtigten Erben; s.u. Beispiel 2).

Anders ausgedrückt: Ein Pflichtteilsergänzungsanspruch kommt immer dann in Betracht, wenn

  • der ordentliche Pflichtteil nach dem realen Nachlass hinter dem Gesamtpflichtteil nach dem Wert des fiktiven Nachlasses zurückbleibt oder
  • wenn das einem pflichtteilsberechtigten Erben oder Vermächtnisnehmer Hinterlassene im Wert geringer ist als der zusammengerechnete Wert von ordentlichem Pflichtteil und Ergänzungspflichtteil.

Auf eine Böswilligkeit oder Illoyalität bei der Schenkung kommt es nicht an.

Beispiele:

Dies soll an nachstehenden Beispielen verdeutlicht werden:

Beispiel 1: Der Nachlass beläuft sich auf 100 T€, der Pflichtteil des von zwei Kindern Enterbten beläuft sich auf 1/4. Kurz vor seinem Tod hatte der Erblasser dem späteren Alleinerben (oder auch einem Dritten) eine Schenkung über 20 T€ gemacht.
Dann beläuft sich der Pflichtteil nach dem realen Nachlass (100 T€) auf 25 T€. Rechnet man nun die Schenkung dem Nachlass hinzu, ergäbe sich ein fiktiver Nachlass von 120 T€; der 1/4 Pflichtteil beliefe sich auf 30 T€.
Das enterbte Kind hat also einen Pflichtteilsanspruch von 25 T€ und einen Pflichtteilsergänzungsanspruch von (30 – 25 =) 5 T€.

 

Beispiel 2: Der Nachlass beläuft sich auf 10 T€; beide Erben setzen sich hälftig auseinander. Nun stellt sich heraus, dass der eine Erbe Begünstigter einer Lebensversicherung des Erblassers über 30 T€ (Rückkaufswert) war (das ist, verkürzt dargestellt, eine lebzeitige Schenkung, die nach dem Tode vollzogen wird).
Rechnet man die Schenkung nun dem Nachlass hinzu, ergäbe sich ein fiktiver Nachlass von 40 T€; der 1/4 Pflichtteil beliefe sich also auf 10 T€.
Damit steht dem nicht bedachten Erben sein Erbteil i.H.v. 5 T€ und ein Pflichtteilsergänzungsanspruch i.H.v. weiteren 5 T€ zu.

 

Gegenbeispiel (kein Pflichtteilsergänzungsanspruch, § 2326 BGB): Der Nachlass beläuft sich auf 80 T€; P und M erben zu gleichen Teilen. Der Miterbe M hat lebzeitig eine nicht ausgleichspflichtige Schenkung des Erblassers von 60 T€ erhalten. Stehen dem P insoweit noch Pflichtteilsergänzungsansprüche zu?
P und M erhalten je 1/2 des Nachlasses, also je 40 T€. Der Gesamtpflichtteil des P (aus realem und dem fiktiven Nachlass) hätte sich auf (80 T€ + 60 T€) : 4 = 35 T€ belaufen. Hier bestimmt § 2326 S. 2 BGB nun, dass ein Ergänzungsanspruch nur insoweit besteht, als der Wert des hinterlassenen Erbteils hinter dem Wert des Gesamtpflichtteils zurückbleibt.
Dem P stehen somit aufgrund der Schenkung keine Ansprüche auf Ergänzung des Pflichtteils zu…

Der Grund dieser kompliziert anmutenden Regelung ist, dass der Gesetzgeber in die Testierfreiheit nur insoweit eingreift, als er maximal den Gesamtpflichtteil als Mindestteilhabe garantiert.

Wann liegt eine ergänzungspflichtige Schenkung des Erblassers vor?

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch schützt den Pflichtteilsberechtigten nicht vor allen (teil-) unentgeltlichen Leistungen des Erblassers, sondern nur vor Schenkungen.

Eine Schenkung liegt dann vor, wenn

  • objektiv der Zuwendungsempfänger aus dem Vermögen des Zuwendenden, dessen gegenwärtige Vermögenssubstanz dauerhaft vermindert wird, bereichert ist und
  • subjektiv sich der Zuwendende und der Zuwendungsempfänger darüber einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt.

Hierzu zählen auch sog. „gemischte Schenkungen“, s.u.

Beachte: Nach einer erfolgten Schenkung können die Vertragsparteien nachträglich jederzeit ein volles Entgelt vereinbaren.
Folge: Der Pflichtteilsergänzungsanspruch entfällt, wenn ein Äquivalent in den Nachlass geflossen ist, selbst wenn dieses bis zum Erbfall verbraucht wurde (BGH, ZEV 2007, 326).

Keine Schenkung liegt mangels Vermögensminderung („Entreicherung“) z.B. vor, wenn der Zuwendende lediglich auf einen Vermögenserwerb verzichtet, etwa eine Sache ohne Entgelt zum Gebrauch überlässt, unentgeltliche Dienste oder Hilfe leistet oder ein zinsloses Darlehen gewährt.

Anstands- und Pflichtschenkungen unterliegen nicht der Pflichtteilsergänzung (§ 2330 BGB).

Ist die unentgeltliche Überlassung einer Wohnung eine Schenkung?

Immer wieder kommt in der Praxis die Frage nach einer Pflichtteilsergänzung auf, wenn der Erblasser z.B. ein Kind über Jahre hinweg unentgeltlich in einer Wohnung oder einem Haus hat wohnen lassen.

Hier hat der BGH aber wiederholt entschieden, dass die (auch längerfristige) unentgeltliche Gebrauchsüberlassung von Gegenständen keine Schenkung, sondern Leihe darstellt (vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 27.01.2016, XII ZR 33/15; s. hierzu auch meine Entscheidungsrezension).
Mangels Schenkung scheidet ein Pflichtteilsergänzungsanspruch somit aus!

[Eine ganz andere, hiervon zu unterscheidende Frage ist, ob die unentgeltliche Einräumung von Nutzungsrechten, z.B. das mietfreie Wohnen oder die kostenfreie Überlassung von Praxisräumen, eine ausgleichspflichtige Ausstattung darstellen kann (bejahend das OLG Düsseldorf, Urt. v. 06.04.18, I-7 U 34/17), die unter Abkömmlingen zur Ausgleichung zu bringen sein würde (§ 2050 Abs. 1 BGB, ggf. i.V.m. § 2316 BGB).]

Was ist eine „gemischte Schenkung“?

Von einer gemischten Schenkung spricht man, wenn Leistung und Gegenleistung sich wertmäßig nicht decken. In diesem Fall unterliegt nur der Schenkungsanteil (der unentgeltliche Teil) der Pflichtteilsergänzung.

Die Annahme einer gemischten Schenkung ist nicht ganz unproblematisch, da es nach dem Prinzip der subjektiven Äquivalenz den Vertragspartnern grundsätzlich frei steht, den Wert der auszutauschenden Leistungen selbst zu bestimmen.

Diesem Prinzip wird durch die Rechtsprechung jedoch Grenzen gesetzt:

  • Beruht die Wertbestimmung auf reiner Willkür und entbehrt sie jeder sachlichen Grundlage, dann ist der Parteiwille nicht mehr maßgeblich.
  • Die ständige Rechtsprechung des BGH gewährt gar eine Beweiserleichterung: Es wird vermutet, dass der Erblasser und sein Vertragspartner sich in Wahrheit über eine unentgeltliche Zuwendung verständigt haben, wenn zwischen der Leistung des Erblassers und der vereinbarten Gegenleistung ein auffallend grobes Missverhältnis besteht.

Ein Erb- oder Pflichtteilsverzicht kann (Teil-) Entgelt darstellen

Nach einem neueren Urteil des für das Schenkungsrecht zuständigen Senats des Bundesgerichtshofs vom 07.07.15 (X ZR 59/13) kann der bei einer Zuwendung gleichzeitig erklärte Erb- oder Pflichtteilsverzicht ein Entgelt darstellen (s. auch meine Rezension).

Nach dieser relativ missglückten Entscheidung wird sich in derartigen Fallkonstellationen zukünftig also stets die Frage stellen, ob überhaupt oder zumindest eine gemischte Schenkung vorliegt.
Damit ist beim Pflichtteilsergänzungsanspruch nunmehr neues Streitpotential eröffnet…

Unterliegen (ehebedingte) unbenannte Zuwendungen unter Eheleuten der Pflichtteilsergänzung?

Nach ständiger familienrechtlicher Rechtsprechung stellen unentgeltliche Zuwendungen unter Ehegatten keine Schenkungen dar, sondern besondere Rechtsgeschäfte familienrechtlicher Art, sog. ehebezogene bzw. unbenannte Zuwendungen.

Im Pflichtteilsrecht würde diese familienrechtliche Sicht dem Missbrauch Tor und Tür öffnen, was der Gesetzgeber mit § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB gerade vermeiden wollte.

Daher werden nach der Rechtsprechung des Erbrecht-Senats beim Bundesgerichtshof (BGHZ 116, 167) und der ihr folgenden herrschenden Lehre unbenannte Zuwendungen im Pflichtteilsrecht grundsätzlich wie eine Schenkung behandelt, wenn sie nur objektiv unentgeltlich sind.
Auf die subjektive Vorstellung der Parteien und das Motiv, dass die Zuwendung um der Ehe willen und als Beitrag zur Verwirklichung oder Ausgestaltung, Erhaltung oder Sicherung der ehelichen Lebensgemeinschaft erbracht werde, kommt es pflichtteilsrechtlich mithin nicht an.

Keine unbenannte Zuwendung liegt vor (weil nicht unentgeltlich; s. im Einz. BGHZ 116, 167 und BGH, Urt. v. 14.03.18 – IV ZR 170/16, Rn. 22 f.), wenn die Zuwendung

  • sich als Vergütung für langjährige Dienste darstellt, sofern sie sich im Rahmen des objektiv Angemessenen bewegt,
  • unterhaltsrechtlich geschuldet war,
  • einer nach den konkreten Verhältnissen angemessenen Altersversorgung dient, auch wenn sie unterhaltsrechtlich nicht geschuldet ist, oder
  • im Einzelfall sonst eine adäquate Gegenleistung festgestellt werden kann.

Zur Vertiefung s. Karczewski, Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen den beschenkten Ehegatten: Neue Entwicklungen bei § 2325 BGB, ZEV 2020, 733.

Mit welchem Wert werden Schenkungen bei der Pflichtteilsergänzung berücksichtigt?

Für den Pflichtteilsergänzungsanspruch werden lebzeitige Schenkungen des Erblassers dem Nachlass zu einem fiktiven Nachlass hinzugerechnet. Doch mit welchem Wert werden diese geschenkten Gegenstände hinzugerechnet? Diese Frage beantwortet § 2325 Abs. 2 BGB:

  • Eine verbrauchbare Sache (z.B. Geld, Wertpapiere) kommt mit dem Wert in Ansatz, den sie zur Zeit der Schenkung hatte;
  • eine nicht verbrauchbare Sache (z.B. eine Immobilie) kommt dagegen mit dem Wert in Ansatz, den sie im Zeitpunkt des Erbfalls hatte, wenn nicht der Wert zur Zeit der Schenkung niedriger war (sog. Niederstwertprinzip, s.u.).

Wie werden Schenkungen unter Vorbehalt des Nießbrauchs oder eines Wohnungsrechts berücksichtigt?

Gibt der Schenker den Schenkungsgegenstand nicht vollständig aus der Hand, sondern behält sich ein Nutzungsrecht vor – bei Immobilienschenkungen regelmäßig den Nießbrauch oder ein Wohnungsrecht – dann ist nach der Rechtsprechung Schenkungsgegenstand, und damit ergänzungsrelevant, nur die Wertdifferenz zwischen dem tatsächlichen Sachwert und dem kapitalisierten Nutzungswert. Der Nutzungswert ist also wertmindernd zu berücksichtigen.

Dies gilt aufgrund des pflichtteilsrechtlichen Niederstwertprinzip nach der Rechtsprechung des BGH jedoch nur, wenn der (indexierte) Wert zur Zeit der Schenkung (ohne die Belastung) niedriger ist als der zur Zeit des Erbfalls.
Soweit der Wert des Schenkungsgegenstands dagegen beim Erbfall niedriger und damit maßgeblich ist, dann entfällt ein Abzug der Nutzungsrechte, da diese mit dem Erbfall ja erloschen sind.

Der kapitalisierte Wert der Nutzungsrechte ist nach den Sterbetafeln und der statistischen Lebenserwartung des Nutzers zur Zeit des Vollzugs der Schenkung abstrakt zu berechnen. Darauf, wie lange der Erblasser tatsächlich gelebt hat, kommt es nach h.A. nicht an, es sei denn, es wäre wegen einer Krankheit des Schenkers bereits bei der Schenkung absehbar gewesen, dass seine Lebenserwartung kürzer ausfallen wird als nach der statistischen Wahrscheinlichkeit.

Wie werden Schenkungen gegen Pflegeverpflichtung bewertet?

Pflegeleistungen sind grundsätzlich als Gegenleistung anzuerkennen, insb. wenn die geschuldete Pflegeleistung nach Leistungsumfang und -zeit vertraglich genau umschrieben ist und auch tatsächlich durchgeführt wird.

Schwierig und umstritten war die Bewertung einer Pflegeverpflichtung jedoch, wenn zum Zeitpunkt der Schenkung noch keine Pflegeleistung erforderlich war – und möglicherweise auch nie wird.

Hierzu hat nunmehr der Bundesgerichtshof (Urt. v. 28.9.2016 – IV ZR 513/15, Rn. 11) Stellung genommen und ausgeführt:

„Maßgebend für die Bewertung ist nicht die spätere tatsächliche Entwicklung der Umstände, insbesondere eine eingetretene Pflegebedürftigkeit des [Erblassers], sondern die Prognoseentscheidung der Parteien anhand einer subjektiven Bewertung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Hier kann – ähnlich wie bei der Bewertung des Nießbrauchs – eine Berechnung anhand des Produkts von Vervielfältigungsfaktor gem. Anl. 9 zu § 14 BewG* i.V.m. der jährlichen Pflegeleistung vorgenommen werden.
(…) Im Zusammenhang mit den hier zu treffenden Feststellungen kann es im Rahmen der Bewertung der Jahresleistung der übernommenen Pflegeverpflichtung mit in Rechnung zu stellen sein, von welchem möglichen Pflegeaufwand [die Vertragsparteien] bei Vertragsschluss ausgegangen sind.“

* Anmerkung: Mit Wirkung ab dem 01.01.2009 wurde § 14 BewG geändert und Anl. 9 aufgehoben. Seitdem gelten die Vervielfältiger der vom Bundesministerium der Finanzen veröffentlichten „Sterbetafeln“.

Zur Bestimmung des „merkantilen“ Werts der Pflegeleistung wird man auf § 36 Abs. 3 SGB XI zurückgreifen können.
Nach einem Runderlass der Oberfinanzdirektion Frankfurt (ZEV 2017, 431; DStR 2017, 1661) sollen auch gegen einen pauschalen Stundensatz von 11,00 € keine Bedenken bestehen.

Querverweis:
Siehe zur Ermittlung der Höhe der Ausgleichung von Pflegeleistungen unter Abkömmlingen nach § 2057a BGB auch: OLG Schleswig, Urt. v. 22.11.16, 3 U 25/16 (ZEV 2017, 400)!

Wie werden Schenkungen mit Widerrufs- bzw. Rückfallklauseln bewertet?

Auch Rückfall- oder Rückübertragungsklauseln sowie Widerrufsvorbehalte führen zu einer Wertminderung des Übertragungsgegenstandes, da sie dessen wirtschaftliche Verwertbarkeit einschränken oder unmöglich machen können.
Wie solche Klauseln zu bewerten sind, ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Man wird wohl eine Bewertung am konkreten Einzelfall vornehmen müssen, die die Lebenserwartung des Schenkers sowie die Wahrscheinlichkeit, dass die Rückübertragung geltend gemacht wird, zu berücksichtigen haben wird.

Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung soll dagegen ein pauschaler Abschlag von 10% des Verkehrswertes gerechtfertigt sein (etwa OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.02.1999, 9 U 125/98, MittRhNotK 2000, 208; OLG Koblenz, NJW-RR 2002, 512; OLG Hamm, Urt. v. 22.02.05, 10 U 134/04, unter II.4.a.).

Was bedeutet Niederstwertprinzip?

Nach § 2325 Abs. 2 BGB gilt für die Bewertung von nicht verbrauchbaren Sachen das sog. Niederstwertprinzip.
In Ansatz gebracht wird der niedrigere Wert, entweder der zur Zeit des Erbfalls oder der zur Zeit der Schenkung. Maßgeblicher Zeitpunkt ist hier der des Schenkungsvollzugs (der Übergabe, der Eintragung im Grundbuch), nicht der des Schenkungsversprechens.

Vergleichsberechnung erforderlich

Es ist also bei nicht verbrauchbaren Sachen eine Vergleichsberechnung der Werte zur Zeit der Schenkung (inflationsbereinigt um die Verbraucherpreisindices; siehe in meinem Erbrecht-Glossar das Stichwort → „Indexierung“!) und zur Zeit des Erbfalls vorzunehmen.

Anmerkung von Fachanwalt für Erbrecht Ingo Lahn:

Das Niederstwertprinzip führt nach Auffassung des BGH (Urt. v. 19.04.89, IVa ZR 85/88 und Urt. v. 02.06.93, IV ZR 259/92) dazu, dass der Pflichtteilsberechtigte von dem Erben die Ermittlung des Wertes des nicht verbrauchbaren Gegenstands zu beiden Stichtagen (Schenkung und Erbfall) verlangen kann bzw. sich die Wertermittlung zu beiden Stichtagen verhalten muss.
Ich bin hier anderer Meinung: Denn zunächst kommt es auf den Wert am Erbfall-Stichtag an. Sollte der Wert zur Zeit der Schenkung niedriger sein, kommt dies nur dem Erben zugute; dieser niedrigere Wert „schadet“ dem Pflichtteilsberechtigten. Daher hat m.E. der Erbe nach den allgemeinen Beweislastgrundsätzen die Darlegungs- und Beweislast für einen niedrigeren Schenkungswert, wenn er sich auf diesen ihm günstigeren Wert beruft (s. OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.09.94, 7 U 198/93, LS 5, Rn 24, FamRZ 1995, 1236; BeckRS 1994, 11269).

Was bedeutet Abschmelzung bzw. Abschmelzungsmodell bei Schenkungen?

Für Erbfälle seit dem 01.01.10 gilt bei der Ermittlung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs das sog. Abschmelzungsmodell des § 2325 Abs. 3 BGB: Schenkungen innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall werden mit dem vollen Wert, solche innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall mit jeweils einem Zehntel des Wertes weniger berücksichtigt.
Sind 10 Jahre seit der Leistung des geschenkten Gegenstands verstrichen, bleibt die Schenkung unberücksichtigt.

Beispiel: Der Erblasser verschenkt eine Immobilie im Werte von 100 T€ an eines seiner Kinder.
Verstirbt er innerhalb eines Jahres ab der Schenkung, wird für den Pflichtteilsergänzungsanspruch der volle Wert in Ansatz gebracht, verstirbt er im zweiten Jahr, so kommen „nur“ noch 90 T€, im dritten Jahr 80 T€, im vierten Jahr 70 T€ usw. in Ansatz.
Überlebt der Erblasser die Schenkung um mehr als 10 Jahre, so bleibt diese – wie schon nach alter Rechtslage – (i.d.R., Ausnahme s. nachstehend) vollkommen außen vor.

Wann beginnt die Abschmelzungsfrist (Zehnjahresfrist) zu laufen?

Wie schon die Zehnjahresfrist nach dem Recht bis zum 31.12.2009 beginnt auch die Abschmelzungsfrist nach neuem Recht erst mit der „Leistung des verschenkten Gegenstands“ zu laufen!

„Leistung“ und Genuss-Rechtsprechung

Da es in § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB heißt, dass eine Schenkung unberücksichtigt bleibt, wenn zehn Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstands verstrichen sind, das Gesetz also differenziert und nicht auf die bloße Schenkung, sondern deren „Leistung“ abstellt, führte dies den BGH zu seiner sog. „Genuss-Rechtsprechung“ (BGHZ 125, 395 = NJW 1994, 1791), die er seitdem in ständiger Rechtsprechung vertritt.

Danach liegt eine „Leistung“ des geschenkten Gegenstands i.S.d. § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB erst vor,

„wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand – sei es aufgrund vorbehaltener dinglicher Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche – im Wesentlichen weiterhin zu nutzen.“

Somit gilt eine Schenkung dann nicht als geleistet und läuft die Abschmelzungsfrist nicht an, wenn der Erblasser

  • die wirtschaftlichen Folgen seiner Schenkung nicht spürbar tragen und
  • den „Genuss“ des verschenkten Gegenstandes nicht auch tatsächlich entbehren muss.

Gilt die Zehnjahresfrist auch bei Schenkungen unter Nießbrauchs- oder Wohnrechtsvorbehalt?

Mit seiner „Genuss-Rechtsprechung“ (s.o.) stellt der BGH also nicht ausschließlich auf den rechtlichen, sondern vor allem auf den wirtschaftlichen Leistungserfolg ab.

Keine Abschmelzung ohne Genuss-Verlust – Nießbrauchsvorbehalt

Hat der Erblasser etwa bei einer Grundstücksschenkung sich den Nießbrauch (§ 1030 BGB) an der Immobilie vorbehalten oder einräumen lassen [oder hat er den freien Widerruf oder Rücktritt von der Schenkung vereinbart, oder dass der Beschenkte nur mit Zustimmung des Schenkers über den übertragenen Grundbesitz verfügen darf (s. OLG Düsseldorf ZEV 2008, 525)], dann liegt eine spürbare „Leistung“ nicht vor und beginnt die Abschmelzungsfrist nicht zu laufen!
Folge der „Genuss-Rechtsprechung“: Der geschenkte Gegenstand kommt mit dem vollen Wert in Ansatz, selbst wenn die Schenkung sogar deutlich länger als 10 Jahre zurückliegt! Allerdings bleibt das Niederstwertprinzip zu beachten.

Abschmelzung bei Vorbehalt eines Wohnungsrechts?

Ob auch der Vorbehalt eines Wohnungsrechts (§ 1093 BGB) das Anlaufen der Abschmelzungsfrist hindert, war lange Zeit umstritten. Fraglich war, wann ein Verzicht der Nutzung „im Wesentlichen“ vorlag.

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 29.06.16, IV ZR 474/15, erstmals zu dieser Frage Stellung genommen und sie für den Regelfall verneint (s. hierzu meine Rezension): „Ein vorbehaltenes Wohnungsrecht steht einer „Leistung“ i.S.d. § 2325 Abs. 3 BGB regelmäßig nicht entgegen“, so dass die Abschmelzungsfrist mit dem Vollzug der Schenkung zu laufen beginnt. Gleichwohl hat der BGH in seinem Entscheidungsleitsatz betont, dass in Ausnahmefällen der Fristlauf sehr wohl gehindert sein könnte.

Dafür, ob ein vorbehaltenes Wohnungsrecht – in Ausnahmefällen – den Beginn der Abschmelzungsfrist hindern könne, seien, so der BGB (Rn. 15), „die Umstände des Einzelfalles“ maßgebend, „anhand derer beurteilt werden muss, ob der Erblasser den verschenkten Gegenstand auch nach Vertragsschluss noch im Wesentlichen weiterhin nutzen konnte.“ Bestehe das im Wohnungsrecht verankerte Ausschließungsrecht (also das Recht des Wohnungsberechtigten, ein Gebäude oder einen Teil eines Gebäudes unter Ausschluss des Eigentümers als Wohnung zu benutzen) „nur an Teilen der übergebenen Immobilie, so ist der Erblasser – anders als beim Vorbehalt des Nießbrauchs – mit Vollzug des Übergabevertrages nicht mehr als „Herr im Haus“ anzusehen“ (Rn. 16). Entscheidend sei zudem, „dass den Eltern jedenfalls kein weitgehend alleiniges Nutzungsrecht unter Ausschluss des übernehmenden Sohnes an dem Grundstück mehr zustand.“ Auch war den Eltern im konkreten Fall ein Überlassungsrecht [vgl. § 1092 Abs. 1 S. 2 BGB] nicht vorbehalten worden.
Als Fazit führt der BGH (Rn. 17 a.E.) aus: „Durch

  • den Verlust der Eigentümerstellung,
  • das nur an Teilen des Grundstücks bestehende Wohnungsrecht sowie
  • die fehlende Übertragbarkeit auf Dritte

[sei] die rechtliche Stellung des Erblassers einschließlich der wirtschaftlichen Verwertbarkeit des Grundstücks jedenfalls deutlich eingeschränkt worden.“ Dies hat dann zur Folge, dass eine „Leistung“ vorliegt und die Abschmelzungsfrist zu laufen beginnt.

Praxis-Tipp von Fachanwalt für Erbrecht Ingo Lahn:

Die ganz große Klarheit hat das Urteil des BGH nicht gebracht; der Bundesgerichtshof hat aber einige Einzelfall-Kriterien herausgearbeitet, die für die Gestaltungspraxis relevant sind: Dient eine Immobilienschenkung gegen Wohnungsrechtsvorbehalt auch dem Zweck der Pflichtteilsvermeidung, sollte bei der Vertragsgestaltung „sicherheitshalber“ darauf geachtet werden, dass

  1. sich das Wohnungsrecht nur auf Teile der Räumlichkeiten oder einzelne von mehreren Wohnungen erstreckt und
  2. die Nutzung Dritten nicht überlassen werden darf.

Das bedeutet gleichzeitig, dass dann, wenn die Schenkung auch der Pflichtteilsreduzierung dienen soll, die Vereinbarung eines unbeschränkten Wohnungsrechts bei Einfamilienhäusern oder Eigentumswohnungen von vorneherein ausscheiden dürfte!

Denn aus der Formulierung, „(…) jedenfalls kein weitgehend alleiniges Nutzungsrecht (…) mehr zustand“ in Rn. 16, wird man den Umkehrschluss ziehen können, dass die Zehnjahresfrist jedenfalls dann nicht anläuft, wenn ein weitgehend alleiniges Wohnungsrecht unter Ausschluss des Eigentümers vereinbart ist.

Dementsprechend hat das OLG München mit Urt. v. 08.07.22 – 33 U 5525/21, NJW-RR 2022, 1164, bei einer Schenkung die Abschmelzungsfrist als gehemmt angesehen, weil der Erblasser sich ein Wohnungsrecht an der gesamten relevanten Wohnfläche des geschenkten Anwesens vorbehalten hatte.

Eine feste, praxistaugliche Prozentgrenze nennt der BGH in seiner Entscheidung erneut nicht. Der berühmten „50-Prozent-Grenze“ erteilt er jedoch insoweit eine Absage, als er betont, es komme stets auf den konkreten Einzelfall an. Je niedriger jedoch der Anteil der mit einem Wohnungsrecht belegten Räume als 50% bezogen auf die Gesamtfläche ist, desto eher wird man aber wohl von einer „Leistung“ und damit vom Anlaufen der Frist ausgehen dürfen.

Gibt es eine Abschmelzungsfrist bei Zuwendungen an Ehegatten?

Ja, sie beginnt aber nicht bereits mit dem Vollzug der Schenkung bzw. der „Leistung“ zu laufen, sondern „nicht vor Auflösung der Ehe“ (§ 2325 Abs. 3 S. 3 BGB).
Damit beginnt eine Abschmelzung bei Schenkungen an den Ehegatten frühestens mit Rechtskraft eines Scheidungs- oder Eheaufhebungsbeschlusses, ansonsten ab dem Tod des Ehegatten zu laufen.

Mit dieser Regelung soll dem Missbrauchspotential zur Pflichtteilsreduktion entgegengewirkt werden. Folge dessen ist, dass selbst weit länger als 10 Jahre zurück liegende Schenkungen an den Ehegatten in den fiktiven Nachlass einzubeziehen sind.

Die Anwendung von § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB setzt voraus, dass Zuwendender und Empfänger bei der Zuwendung verheiratet waren. Zuwendungen an den späteren Ehegatten (z.B. Verlobungsgeschenke) unterliegen der normalen Zehnjahresfrist.

Die Vorschrift ist auf Verlobte oder nichteheliche Lebenspartner nicht entsprechend anwendbar.

Die Regelung des § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB ist verfassungsgemäß und verstößt weder gegen Art. 6 Abs. 1 GG noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG (BVerfG, NJW 1991, 217; zuletzt BVerfG, Besch. v. 26.11.18, 1 BvR 1511/14).

Muss ich mir ein Geschenk, das ich selbst erhalten habe (Eigengeschenk), auf den Pflichtteil anrechnen lassen?

Hier ist zu differenzieren, ob der Erblasser bei der Schenkung eine Anrechnungsbestimmung getroffen hat oder nicht.

  • Hat der Erblasser spätestens bei der Zuwendung bestimmt, dass die Zuwendung auf den (späteren) Pflichtteil angerechnet werden soll, dann muss sich der Pflichtteilsberechtigte den Wert auf den ordentlichen Pflichtteil anrechnen lassen (§ 2315 BGB). Kommen auch Pflichtteilsergänzungsansprüche in Betracht, wird das Eigengeschenk auf den Gesamtbetrag von ordentlichem Pflichtteil und Pflichtteilsergänzung (Gesamtpflichtteil) angerechnet (§ 2327 Abs. 1 S. 2 BGB).
  • Hat der Erblasser dagegen keine Anrechnungsbestimmung getroffen, dann muss sich der Pflichtteilsberechtigte den Wert zwar nicht auf den ordentlichen Pflichtteil, wohl aber auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch anrechnen lassen (§ 2327 Abs. 1 S. 1 BGB), ggf. sogar bis zur vollständigen Erschöpfung des Ergänzungsanspruchs.
  • Der Erblasser kann auch sowohl eine Ausgleichungs- als auch eine Anrechnungsbestimmung treffen (§ 2316 Abs. 4 BGB). Dies soll hier vernachlässigt werden.

In der Praxis kommen die Eigengeschenke ohne Anrechnungsbestimmung am häufigsten vor.

Berechnungsbeispiele Eigenschenkung ohne Anrechnungsbestimmung

Beispiel 1: Der Erblasser E hinterlässt einen Nachlass von 80 T€. Tochter T ist seine Alleinerbin, Sohn S ist enterbt. E hatte T lebzeitig eine Eigentumswohnung geschenkt, die mit einem Wert von 100 T€ zu berücksichtigen ist. S selbst hat von E Schenkungen in Höhe von 30 T€ erhalten.
S hat einen ordentlichen Pflichtteilsanspruch aus dem realen Nachlass, mithin 1/4 aus 80 T€ = 20 T€. Der Gesamtpflichtteil beläuft sich auf (80 + 100 + 30 T€) /4 = 52,5 T€; der Ergänzungspflichtteil mithin auf (52,5 T€ Gesamtpflichtteil – 20 T€ ordentlicher Pflichtteil =) 32,5 T€.
Die Eigenschenkung wird nun auf den Ergänzungspflichtteil angerechnet, so dass S neben seinem Pflichtteil von 20 T€ noch (32,5 – 30 T€ =) 2,5 T€, mithin insgesamt 22.500 €, von T verlangen kann.

 

Beispiel 2: Wie Beispiel 1, allerdings hat S Eigengeschenke im Werte von 40 T€ erhalten.
Der Gesamtpflichtteil beläuft sich auf (80 + 100 + 40 T€)/4 = 55 T€; der Ergänzungspflichtteil mithin auf (55 T€ Gesamtpflichtteil – 20 T€ ordentlicher Pflichtteil =) 35 T€. Die Eigenschenkung wird nun auf den Ergänzungspflichtteil angerechnet.
Da der Wert der Eigenschenkung den Ergänzungspflichtteil übersteigt, entfällt ein Pflichtteilsergänzungsanspruch gänzlich.
S kann von T nur den ordentlichen Pflichtteil von 20.000 € verlangen.

Der Mehrbetrag, um den die Eigenschenkung den Pflichtteilsergänzungsanspruch übersteigt, ist weder zu erstatten noch auf den ordentlichen Pflichtteil anzurechnen; er verbleibt dem selbst beschenkten Pflichtteilsberechtigten.

Beachte: Für die Anrechnung von Eigengeschenken gilt keine Zeitschranke, insbesondere gilt die Zehn-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB nicht!
Das bedeutet, dass bei Abkömmlingen Eigengeschenke ab der Geburt, bei Eheleuten ab der Eheschließung anzurechnen sind. [Das Problem der Beweisbarkeit steht auf einem ganz anderen Blatt…]

Gibt es Ansprüche gegen den vom Erblasser Beschenkten?

Entgegen weitläufiger Meinung haftet für Pflichtteilsergänzungsansprüche wegen Schenkungen zunächst nicht der Beschenkte, sondern stets der Erbe.

Der Beschenkte haftet nur subsidiär

Nur dann, wenn und soweit der Erbe zur Ergänzung des Pflichtteils „nicht verpflichtet“ ist, kann sich der Berechtigte – insoweit subsidiär – an den Beschenkten halten (§ 2329 Abs. 1 BGB).

Der Erbe ist dann „nicht verpflichtet“, wenn z.B. kein oder nur unzureichend Nachlass vorhanden ist, der Erbe nur beschränkt auf den Nachlass oder als Teilschuldner haftet und der Nachlass nicht zur Pflichtteilsergänzung ausreicht. Die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses ist ausreichend.
Der Beschenkte kann auch in Anspruch genommen werden, wenn der Erbe die Pflichtteilsergänzung nach § 2328 BGB wegen seines eigenen Pflichtteils verweigern kann.
Stark umstritten und in der Rechtsprechung noch nicht geklärt ist, ob ein Durchgriff auf den Beschenkten auch in Betracht kommt, wenn der Erbe schlicht zahlungsunfähig ist.

Der Beschenkte schuldet Herausgabe

Bei dem Anspruch gegen den Beschenkten ist darauf zu achten, dass es sich hier nicht um einen Zahlungs-, sondern einen bereicherungsrechtlichen Herausgabeanspruch handelt, der auf Duldung der Zwangsvollstreckung in den geschenkten Gegenstand und in Höhe des zu beziffernden Fehlbetrages gerichtet ist.
Hatte der Erblasser allerdings Geld geschenkt, dann kann direkt Zahlung beansprucht werden.
Die Vollstreckung in den Gegenstand kann von dem Beschenkten durch Zahlung des an der Pflichtteilsergänzung fehlenden Betrags abgewendet werden.

Wann verjährt der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten?

Der Anspruch gegen den Beschenkten unterliegt der Sonder-Verjährung nach § 2332 Abs. 1 BGB!
Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt – anders als die Verjährung des Ergänzungsanspruch gegen den Erben –  kenntnisunabhängig bereits mit dem Erbfall zu laufen.

Eine Klage auf Pflichtteilsergänzung gegen den Erben hemmt nicht auch die Verjährung gegen den Beschenkten!
Etwas anderes gilt nur, wenn ein beschenkter (Mit-) Erbe verklagt wurde; dann hemmt die Klage aus § 2325 BGB auch die Ansprüche nach § 2329 BGB (stRspr., BGH, NJW 1974, 1327; NJW 1986, 1610).
Bei mehreren Beschenkten kann der Pflichtteilsberechtigte die Klage gegen den zuletzt Beschenkten mit einer Feststellungsklage gegen den früher Beschenkten verbinden. Dies sollte er zweckmäßigerweise auch tun, um die Verjährung seines möglichen Anspruchs gegen den früher Beschenkten zu hemmen.

Fachanwalt für Erbrecht - Ingo Lahn | Pflichtteilsergänzungsanspruch

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