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Pflichtteil – Pflichtteils­recht & Pflicht­teils­an­spruch

Pflichtteils- und Pflicht­teils­er­gän­zungs­an­spruch, Zu­satz­pflicht­teil – Pflicht­teils­ver­zicht

Der Pflichtteil garantiert Abkömmlingen und dem Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartner eine wirtschaftliche Mindestbeteiligung am Nachlass, wenn der Erblasser sie enterbt oder nur unzureichend bedacht hat.
Der Pflichtteilsanspruch ist rein auf Zahlung von Geld gerichtet und besteht in Höhe der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils.

Da der enterbte Pflichtteilsberechtigte gerade nicht Erbe wird und „nur“ Geld beanspruchen kann, hat er insbesondere

  • keine dingliche Teilhabe am Nachlassvermögen,
  • keine Herausgabeansprüche und auch
  • keinerlei Mitspracherechte!

Nur ausnahmsweise sind auch die Eltern des Erblassers pflichtteilsberechtigt, wenn der Erblasser keine Abkömmlinge (Kinder, Enkel usw.) hinterlassen hat.

Die häufigsten Fragen zum Pflicht­teils­an­spruch:

Weitere wichtige Informationen rund um das Pflicht­teils­recht finden Sie auch auf den folgenden Seiten:

Pflichtteilsergän­zungs­an­spruch

Wie wird der Pflichtteils­be­rech­tig­te davor geschützt, dass der Erblasser durch lebzeitige Schenkungen den Nachlass aushöhlt, um den Pflichtteil zu reduzieren? Welche Werte werden bei der Berechnung hinzuaddiert? Was bedeutet Abschmelzung?

Zusatzpflichtteil

Welche Ansprüche hat ein Pflichtteilsberechtigter, wenn er zwar nicht enterbt, aber nur unzureichend bedacht wurde? Wann kann und sollte der Pflichtteilsberechtigte ausschlagen? Und wann darf er keinesfalls ausschlagen?

Pflichtteil einfordern und durchsetzen

Erhält man den Pflichtteil automatisch oder muss der Berechtigte den Pflichtteil einfordern? Wie erhält man welche Informationen? Muss der Erbe ein Nachlassverzeichnis vorlegen? Kann der Pflichtteilsberechtigte Wertermittlung durch Sachverständige verlangen?
Wie werden Pflichtteilsansprüche vor Gericht durchgesetzt?

Der Pflichtteilsanspruch in Frage und Antwort:

Wer ist überhaupt pflichtteilsberechtigt?

Einen Pflichtteilsanspruch kann nur ein Pflichtteilsberechtigter haben, also eine Person, die zum pflichtteilsberechtigten Personenkreis gehört. Nach § 2303 BGB sind dies ausschließlich

  • Abkömmlinge des Erblassers (also seine Kinder, Enkel, Urenkel usw., ebenso Adoptierte),
  • der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner des Erblassers und
  • ausnahmsweise seine Eltern, dies jedoch nur, wenn der Erblasser keine Abkömmlinge hinterlassen hat.

Zu den pflichtteilsberechtigten Abkömmlingen zählt auch schon der Nasciturus, also ein noch nicht geborenes, aber bereits gezeugtes Kind, wenn es lebend geboren wird (§ 1923 Abs. 2 BGB).

Niemals pflichtteilsberechtigt sind folglich alle anderen Personen, wie Großeltern, Geschwister, Onkel, Tanten, Nichten, Neffen oder entferntere Verwandte des Erblassers, selbst wenn sie ohne die letztwillige Verfügung eigentlich zur gesetzlichen Erbfolge berufen gewesen wären!
Auch der nichteheliche Lebenspartner ist niemals pflichtteilsberechtigt, mag die Beziehung auch über Jahrzehnte innigst bestanden haben.

Beispiel aus der Praxis: Der kinderlose Erblasser hat durch Testament seine Ehefrau zur Alleinerbin eingesetzt. Er hinterließ noch seine Mutter und einen Bruder; sein Vater ist bereits vorverstorben.
Bei gesetzlicher Erbfolge und bestehender Zugewinngemeinschaft hätte die Ehefrau ihren Mann zu 3/4 beerbt (§§ 1931 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, 1371 Abs. 1 BGB); seine Mutter und sein Bruder, der an die Stelle des vorverstorbenen Vaters tritt, hätten sich das verbleibende Viertel geteilt (je 1/8; § 1925 Abs. 2 und 3 BGB).
Pflichtteilsberechtigt ist aber nur die Mutter als Elternteil des Erblassers. Ihr Pflichtteil beträgt die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils (§ 2303 Abs. 1 S. 2 BGB) von 1/8, also 1/16. Der Bruder wäre ohne Testament zwar auch gesetzlicher Erbe zu 1/8 geworden; er gehört jedoch nicht zum pflichtteilsberechtigten Personenkreis und geht somit „leer“ aus.

Noch einmal zur Klarstellung: Grundvoraussetzung für jedweden Pflichtteilsanspruch ist immer eine (abstrakte) Pflichtteilsberechtigung, d.h. die Zugehörigkeit zum pflichtteilsberechtigten Personenkreis. Wer also nicht Abkömmling, Ehegatte oder Elternteil des Erblassers ist, kann weder einen  ordentlichen  Pflichtteilsanspruch, Zusatzpflichtteil oder Pflichtteilsrestanspruch noch einen  außerordentlichen  Pflichtteilsergänzungsanspruch haben!

Lesen Sie bei der übernächsten Frage zu den weiteren Voraussetzungen eines ordentlichen Pflichtteilsanspruchs!

Wer muss den Pflichtteil zahlen?

Den Pflichtteil schuldet ausschließlich der Erbe. Mehrere Erben haften als Gesamtschuldner (§ 421 BGB), d.h. der Pflichtteilsberechtigte kann nach seinem Belieben von jedem einzelnen Erben den vollen Pflichtteil oder einen Teil hiervon fordern.

Im Innenverhältnis ist die Pflichtteilslast von den Erben, Vermächtnisnehmern und Auflagenbegünstigten anteilig im Verhältnis ihrer Beteiligung am Nachlass zu tragen (§§ 2318 – 2323 BGB), wenn nicht der Erblasser etwas anderes bestimmt hat (§ 2324 BGB).

Unter welchen Voraussetzungen kann ein Pflichtteilsberechtigter den Pflichtteil fordern?

Der Pflichtteilsanspruch entsteht erst mit dem Tod des Erblassers (§ 2317 Abs. 1 BGB) und nach der Grundregel des § 2303 BGB nur, wenn

Damit müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein:

Tod des Erblassers

Zwar entsteht ein Pflichtteilsrecht bei Abkömmlingen bereits mit der Zeugung und beim Ehegatten mit der Eheschließung; ein Pflichtteilsanspruch entsteht jedoch erst mit dem Tod des Erblassers (§ 2317 Abs. 1 BGB).

Es muss also der Erbfall eingetreten sein. Zu Lebzeiten des späteren Erblassers bestehen keinerlei Ansprüche, nicht einmal Auskunftsansprüche gegen den Erblasser, einen Beschenkten oder gar den designierten Erben.

Pflichtteilsberechtigter

Der Anspruchsteller muss dem pflichtteilsberechtigen Personenkreis (s.o.) angehören, also Abkömmling, Ehegatte oder Elternteil des Verstorbenen sein.

Ausschluss von der gesetzlichen Erbfolge

Ein abstrakt Pflichtteilsberechtigter kann immer nur dann einen Pflichtteilsanspruch haben, wenn er im Falle → gesetzlicher Erbfolge (die Verfügung von Todes wegen also hinweggedacht) überhaupt Erbe geworden wäre.

Beachte: Eltern und entferntere Abkömmlinge sind schon kraft Gesetzes von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen, wenn nähere Abkömmlinge vorhanden und zu Erben berufen sind (§§ 1924 Abs. 2, 1930 BGB).Sind diese Personen bereits nach der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen, kommt ein Pflichtteilsanspruch per se nicht in Betracht.

Enterbung durch den Erblasser

Der Erblasser muss den Pflichtteilsberechtigten durch Verfügung von Todes wegen, also durch Testament oder Erbvertrag, von der Erbfolge ausgeschlossen, also enterbt, haben.

Ausnahmen bestehen für den zwar nicht ausgeschlossenen, aber beschränkten oder beschwerten Erben (§ 2306 BGB), den Ehegatten im Güterstand der Zugewinngemeinschaft (§ 1371 Abs. 3 BGB) und den unterhalb seiner Pflichtteilsquote bedachten Erben (§ 2305 BGB) oder Vermächtnisnehmer (§ 2307 BGB).

Kein Ausschluss des Pflichtteilsanspruchs

Selbst wenn ein näherer Abkömmling die Erbschaft ausgeschlagen (§§ 1942 Abs. 1, § 1953 Abs. 1 BGB) oder auf sein Erbrecht verzichtet hat (§ 2346 Abs. 1), für erbunwürdig erklärt (§§ 2339, 2340, 2344) oder enterbt wurde, haben Eltern und entferntere Abkömmlinge auch dann keinen Pflichtteilsanspruch, wenn

  • ein näherer Abkömmling den Pflichtteil verlangen kann oder das ihm Hinterlassene annimmt (§ 2309 BGB).

Hierdurch soll eine Vervielfältigung der Pflichtteilslast vermieden werden, insbesondere innerhalb desselben Stammes.

Für den interessierten Leser: Siehe die sehr beachtlichen und lesenswerten Entscheidungen BGH, Urt. v. 13.04.11, IV ZR 204/09 und BGH, Urt. v. 27.06.12, IV ZR 239/10.

Wann ist der Pflichtteilsanspruch fällig und zahlbar?

Der Pflichtteilsanspruch entsteht und wird sofort fällig mit dem Erbfall (§ 2317 Abs. 1 BGB).
Der Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsbetrag ist aber erst ab Verzug oder Rechtshängigkeit zu verzinsen. Um den Pflichtteilsschuldner in Verzug zu setzen, sollte der Pflichtteilsgläubiger den Erben tunlichst mittels einer sog. Stufenmahnung auffordern, Auskunft über den realen und fiktiven Nachlass zu erteilen, Werte zu ermitteln und den sich nach Auskunft und Wertermittlung ergebenden Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsbetrag zu zahlen.

Gibt es einen Pflichtteilsanspruch nach Ausschlagung?

Schlägt der Pflichtteilsberechtigte eine ihm angefallene Erbschaft aus, dann ist er nicht durch den Erblasser, sondern durch seine eigene Entscheidung und Ausschlagungserklärung von der Erbfolge ausgeschlossen. Damit gilt der

Grundsatz: Wer eine Erbschaft ausschlägt, hat keinen Anspruch auf den Pflichtteil!


Hiervon gibt es zwei

Ausnahmen:

kann ausnahmsweise ausschlagen und den Pflichtteil geltend machen:

1)  Der beschränkte oder beschwerte Erbe

Der nicht enterbte Pflichtteilsberechtigte darf ausnahmsweise dann, wenn er

  • durch Einsetzung eines Nacherben oder als Nacherbe, die Anordnung einer Testamentsvollstreckung oder Teilungsanordnung beschränkt oder
  • mit einem Vermächtnis oder einer Auflage beschwert

wurde, die derart belastete Erbschaft ausschlagen und (stattdessen) seinen Pflichtteil verlangen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Pflichtteilsberechtigte gesetzlicher oder gewillkürter Erbe geworden ist.

Der belastete pflichtteilsberechtigte Erbe hat also im Ergebnis ein Wahlrecht:

  1. Er kann die Erbschaft annehmen; dann muss er die Belastungen tragen und erfüllen;
  2. er kann den „vollen“ Pflichtteil verlangen; dann muss er form- und fristgerecht ausschlagen.

Stellt sich heraus, dass der Wert der Erbschaft nach Abzug der Belastungen etwa den Pflichtteil ausmacht oder niedriger ist, empfiehlt sich regelmäßig die Erbausschlagung. Problematisch ist allerdings fast immer die kurze Ausschlagungsfrist von nur sechs Wochen.

Beachten Sie:  Bevor Sie ausschlagen, prüfen Sie, ob Ihnen überhaupt ein Pflichtteilsanspruch zusteht! Hierzu s.o. zu den Voraussetzungen des Pflichtteilsanspruchs.

So hat z.B. ein als Nacherbe eingesetzter Enkel niemals einen Pflichtteilsanspruch, wenn sein Elternteil Vorerbe wird oder seinen Pflichtteil verlangen könnte oder das ihm Hinterlassene annimmt (§§ 1924 Abs. 2, 2309 BGB).

Beispiele, wann ein Nacherbe den Pflichtteil verlangen kann, finden Sie über diesen Link.

Exkurs: Anfechtung wegen Irrtums

Typischer Fall aus der Praxis: Der pflichtteilsberechtigte Erbe stellt nach der Testamentseröffnung fest, dass er derart mit Vermächtnissen belastet ist, dass ihm wertmäßig weniger als sein Pflichtteil verbleibt. Gleichwohl nimmt er die Erbschaft an (oder häufiger: lässt die Ausschlagungsfrist verstreichen), da er irrig glaubt, nicht ausschlagen zu dürfen, um nicht auch noch seine geringe Teilhabe am Nachlass zu verlieren.

Expertentipp von Fachanwalt für Erbrecht Ingo Lahn:

Aufgrund dieses Irrtums kann der Erbe die Erbschaftsannahme anfechten und sodann den Pflichtteil geltend machen!
Der BGH hat mit Urteil vom 29.06.16 (IV ZR 387/15) seine vor der Erbrechtsreform ergangene Entscheidung aus dem Jahre 2006 (IV ZB 39/05) bestätigt, wonach eine „Anfechtung wegen Inhaltsirrtums weiterhin möglich“ ist, „wenn der Erbe irrig annimmt, im Falle einer Ausschlagung keinerlei Teilhabe am Nachlass, insbesondere keinen Pflichtteilsanspruch, mehr zu haben.

Der BGH zitierte in seiner ersten Entscheidung Keim (ZEV 2003, 358, 360), dessen Aussage, wie die Beratungspraxis zeigt, damals wie heute noch hoch aktuell ist:

„Mit der ausdrücklichen Annahme einer Erbschaft glaubt der Rechtsunkundige niemals, dass er gerade damit eine maßgebliche Beteiligung am Nachlass verlieren könnte, oder umgekehrt, dass er ausgerechnet durch die Ausschlagung eine wertmäßig größere Beteiligung am Erbe erhalten hätte.“

Aber Achtung: Vor einer Anfechtung ist zwingend auf eine evtl. Verjährung des Pflichtteilsanspruchs zu achten! Denn die dreijährige (kenntnisabhängige Silvester-) Verjährung des Pflichtteilsanspruchs wird nicht dadurch gehemmt, dass der Anspruch erst nach der Ausschlagung der Erbschaft geltend gemacht werden kann (§ 2332 Abs. 2 BGB)!

2)  Der Ehegatte bei Zugewinngemeinschaft

Auch der Ehegatte kann ausnahmsweise die Erbschaft ausschlagen, um seinen konkreten Zugewinnausgleich und zusätzlich den „kleinen Pflichtteil“ geltend zu machen (§ 1371 Abs. 3 BGB).
Wohl gemerkt: Dies gilt nicht bei vereinbarter Gütertrennung oder Gütergemeinschaft – und auch nicht bei der deutsch-französischen Wahl-Zugewinngemeinschaft!

Die Ausnahmevorschrift eröffnet eine Königsdisziplin der pflichtteilsrechtlichen Beratung:

Beispiel aus der Praxis (stark vereinfacht): Als die Eheleute ohne Ehevertrag heirateten, hatten beide kein nennenswertes Vermögen. Im Laufe der Ehe war der Erblasser E jedoch sehr erfolgreich und lebten die Eheleute zum Zeitpunkt des Erbfalls in seiner Villa, die einen Wert von 1 Mio. € hatte. Daneben gibt es noch ein Sparkonto des E mit 200 T€. Die Witwe hat keinen Zugewinn erzielt.
Mit dem Sohn des Erblassers aus erster Ehe steht die Witwe „auf Kriegsfuß“. E stirbt ohne letztwillige Verfügung.

  • Nimmt die Witwe die Erbschaft an, dann erbt sie das Haus und das Geldvermögen zu 1/2 (ihr ererbtes Vermögen beläuft sich also auf 600 T€). Sie bildet aber mit dem „bösen“ Stiefsohn eine Erbengemeinschaft und muss sich mit diesem auseinandersetzen.
  • Hier kann es sich empfehlen, die Erbschaft auszuschlagen und den konkreten Zugewinn nebst Pflichtteil zu verlangen:
    Der Zugewinnausgleichsanspruch beläuft sich hier auf die Hälfte des Zugewinns des Erblassers, also ( 1 Mio. + 200 T€) x ½ = 600 T€. Der Pflichtteilsanspruch der Witwe beläuft sich dann auf die Hälfte ihres gesetzlichen, nicht erhöhten Erbteils (1/4), also 1/8, berechnet nach dem Wert des Nachlasses nach Abzug des Zugewinnausgleichsanspruchs, also (1,2 Mio. € – 600 T€) x 1/8 = 75.000 €.
    Bei dieser Vorgehensweise könnte die Witwe letztlich 675.000 € gegenüber dem Stiefsohn geltend machen; sie erhielte somit wertmäßig 75.000 € mehr als bei Annahme der Erbschaft.

Können auch zu gering bedachte Erben einen Pflichtteil fordern?

Grundsätzlich können nur pflichtteilsberechtigte Nicht-Erben einen Pflichtteilsanspruch haben.
Beschränkte oder beschwerte Erben sowie der Ehegatte bei Zugewinngemeinschaft können ausnahmsweise ausschlagen und sodann ihren Pflichtteil verlangen (s.o.).

Als weitere Ausnahme kann auch ein (Mit-) Erbe dann, wenn er durch Testament oder Erbvertrag auf einen Erbteil gesetzt ist, der kleiner als seine Pflichtteilsquote ist, zusätzlich zu seinem Erbteil noch den an seinem Pflichtteil fehlenden Teil verlangen, den sog. → Zusatzpflichtteil (s. dort).

Beispiel:  Der Erblasser hinterlässt seine Tochter T und seine langjährige Lebensgefährtin L. In seinem Testament setzte er die T zu 20% und die L zu 80% zu seinen Erbinnen ein.
T wäre die gesetzliche Alleinerbin des E geworden; ihr Pflichtteil beläuft sich somit auf 50%. Da ihr Erbteil jedoch nur 20% beträgt, kann sie bei der Auseinandersetzung neben ihrem Erbteil noch zusätzlich die restlichen 30% als Zusatzpflichtteil ausbezahlt verlangen.

Können Kinder auch bei einem Berliner Testament den Pflichtteil verlangen?

Gerade beim Berliner Testament haben die Abkömmlinge des Erstversterbenden – also nicht nur dessen Kinder, sondern auch die Kinder vorverstorbener Kinder – stets einen Pflichtteilsanspruch!
Denn dadurch, dass die Eheleute sich zunächst gegenseitig zu Alleinerben des Erstversterbenden eingesetzt haben, sind die Kinder für den ersten Erbfall von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen, also enterbt.

Wie Sie das Risiko, Ihren Ehegatten Pflichtteilsansprüchen auszusetzen, minimieren oder ausschließen können, verrate ich Ihnen gerne!

Können Kinder den Pflichtteil schon zu Lebzeiten der Eltern einfordern?

Ganz klar NEIN! Die gegenteilige, in der Bevölkerung weit verbreitete Auffassung ist ein hartnäckiger Irrtum.

Zu Lebzeiten des Erblassers bestehen keinerlei Ansprüche, noch nicht einmal Auskunftsansprüche. Siehe hier zu den Voraussetzungen des Pflichtteilsanspruchs.

Eine ganz andere Frage ist, ob und wie sinnvollerweise der spätere Erblasser freiwillige Leistungen erbringt, etwa als Abfindung für einen notariellen Pflichtteilsverzicht.
Auch andere Gestaltungen sind möglich, aber stets nur durch Vertrag, zu dessen Abschluss niemand gezwungen werden kann.

Wie hoch ist der Pflichtteil?

Hier bestimmt § 2303 Abs. 1 S. 2 BGB:

Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils.

Das bedeutet zunächst: Der Pflichtteilsanspruch ist ein reiner Wertzahlungsanspruch und entspricht „nur“ dem Wert der halben Erbquote (Pflichtteilsquote).
Der Pflichtteilsberechtigte bekommt also nur Geld, und dann auch nur halb so viel, wie er hätte, wenn er gesetzlicher Erbe geworden wäre.

Die Höhe des Pflichtteilsanspruchs ist somit von zwei Faktoren abhängig:

Wie wird die Pflichtteilsquote zur Berechnung des Pflichtteilsanspruchs ermittelt?

Die Pflichtteilsquote ist die halbe Erbquote (außer bei Ausgleichungspflichten, § 2316 BGB).
Daher ist zunächst die Höhe der gesetzlichen Erbquote nach den Regeln über die → gesetzliche Erbfolge zu bestimmen. und zwar abstrakt nach dem fiktiven Erbteil, der sich ergäbe, gäbe es keine Verfügung von Todes wegen (denn ohne Enterbung gibt es ja keinen ordentlichen Pflichtteilsanspruch!). Dabei ist jeder mitzuzählen, der gesetzlicher Erbe geworden wäre, egal ob er durch Enterbung, Ausschlagung oder Erbunwürdigkeit nicht an der gesetzlichen Erbfolge teilnimmt. Nicht mitgezählt wird dagegen, wer gegenüber dem Erblasser durch Erbverzichtsvertrag (§ 2346 BGB) auf sein Erbrecht verzichtet hat (§ 2310 BGB).

Die Hälfte der hiernach berechneten gesetzlichen Erbquote ist dann die Pflichtteilsquote.

Beispiel:  Erblasser E setzt seine Ehefrau F, mit der er im gesetzlichen Güterstand gelebt hat, zur Alleinerbin ein. Er hinterlässt noch vier Kinder.
Kind B hat er in seinem Testament für erbunwürdig erklärt, Kind C hatte früher schon gegen Abfindung auf seinen Pflichtteil, Kind D auf sein Erbrecht verzichtet. Wie hoch ist der Pflichtteil von Kind A?
Die F hätte gesetzlich 1/2 geerbt, die Kinder teilten sich den Rest. Allerdings würde Kind D nicht mitgezählt, weil es einen Erbverzicht erklärt hatte. Den 1/2 Erbanteil würden sich also nur 3 Kinder teilen; der Erbteil jedes Kindes beliefe sich also auf 1/6, so dass die Pflichtteilsquote vom Kind A die Hälfte hieraus betrüge, mithin 1/12.

Besonderheiten für den Pflichtteil des Ehegatten gelten in den Güterständen der Zugewinngemeinschaft und der Gütertrennung

(s. nachfolgend).

Wie hoch ist der Pflichtteil des Ehegatten bei Zugewinngemeinschaft?

Die meisten Eheleute schließen keinen Ehevertrag ab. Dann gilt für ihre Ehe der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Bei Ehegatten, die zum Todeszeitpunkt im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt hatten, gilt pflichtteilsrechtlich eine Besonderheit:

Ist der hinterbliebene Ehegatte

  • nicht Erbe geworden, und hat ihm der Erblasser auch
  • kein Vermächtnis (und sei es auch noch so klein) zugewandt,

dann richtet sich seine Pflichtteilsquote nicht nach dem güterrechtlich erhöhten Erbteil, sondern lediglich nach dem nicht erhöhten Erbteil (sog. „kleiner Pflichtteil„, § 2303 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 1371 Abs. 2, 2. Hs. BGB)!

„Kleiner“ Pflichtteil des Ehegatten
• neben Verwandten der ersten Ordnung (Abkömmlingen) 1/8
• neben Verwandten der zweiten Ordnung oder Großeltern 1/4
• neben ferneren Verwandten oder Familienfremden 1/2

Neben dem „kleinen Pflichtteil“ kann der Ehegatte dann noch den Zugewinnausgleich verlangen, wenn denn der verstorbene Ehegatte einen höheren Zugewinn als der überlebende Ehegatte erzielt haben sollte. Der Zugewinnausgleichsanspruch ist als Nachlassverbindlichkeit nachlasswertmindernd zu berücksichtigen.

Beispiel: Der Erblasser hinterlässt seine Ehefrau F, mit der er im gesetzlichen Güterstand gelebt hatte, sowie Tochter T und Sohn S. Es wird ein Testament eröffnet, in dem der Erblasser den S als Alleinerben eingesetzt hat. F und T fragen nach der Höhe ihrer Pflichtteile.

  • Pflichtteil der F:  Wäre es zur gesetzlichen Erbfolge gekommen, hätte sich der gesetzliche Erbteil der F von 1/4 (§ 1931 Abs. 1 S. 1 BGB) güterrechtlich um ein weiteres 1/4 erhöht (§ 1371 Abs. 1 BGB) auf insg. 1/2. Man könnte also meinen, ihr Pflichtteil beliefe sich somit auf 1/4.
    Da die F aber nicht Erbin (oder Vermächtnisnehmerin) geworden ist, ordnet § 1371 Abs. 2, 2. Hs. BGB „in diesem Falle“ an, dass der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten sich nach dem nicht erhöhten gesetzlichen Erbteil des Ehegatten bestimmt. Der Pflichtteil beträgt folglich die Hälfte von 1/4, also nur 1/8.
    Daneben bleibt es der F unbenommen, den konkreten Zugewinnausgleich zu berechnen. Pech nur, wenn der Erblasser keinen, einen gleich hohen oder geringeren Zugewinn als die F erzielt hat und F somit kein Ausgleichsanspruch zusteht…
  • Pflichtteil der T:  Die Berechnung des Pflichtteils der F hat ebenfalls Auswirkungen auf den Pflichtteil der T, weil § 1371 Abs. 2, 2. Hs. BGB anordnet, dass (auch) der Pflichtteil „eines anderen Pflichtteilsberechtigten“ sich nach dem nicht erhöhten gesetzlichen Erbteil des Ehegatten bestimmt: Bekäme die F hiernach nur 1/4, hätten sich T und S die restlichen 3/4 zu teilen; jeder hätte also 3/8 erhalten. Nach dieser Quote bestimmt sich nunmehr der Pflichtteil der T, der die Hälfte dessen ausmacht, also 3/16.

Dasselbe gilt, wenn der Ehegatte die Erbschaft und/oder ein ihm zugewandtes Vermächtnis ausschlägt (§ 1371 Abs. 3 BGB).

Ist dem Ehegatten dagegen ein Erbteil oder ein Vermächtnis hinterlassen, und schlägt er nicht aus, dann steht ihm „nur“ der „große Pflichtteil“ zu, berechnet nach dem güterrechtlich erhöhten Erbteil, also 1/4. Ein Wahlrecht, stattdessen den Zugewinnausgleich nebst kleinem Pflichtteil geltend zu machen, hat er nicht!

Beachte: Diese Regelung wird lediglich beim Zusatzpflichtteil, den Pflichtteilsergänzungsansprüchen und den Regelungen zur Pflichtteilslast (§§ 2318, 2319, 2328 BGB) relevant.

Wie hoch ist der Pflichtteil des Ehegatten bei Gütertrennung?

Hier ergeben sich keine pflichtteilsrechtlichen Besonderheiten. Einzige Besonderheit ist die Bestimmung der Erbquote des Ehegatten neben Abkömmlingen gem. § 1931 Abs. 4 BGB. Die Pflichtteilsquote ist auch hier die Hälfte der Erbquote.

Pflichtteil des Ehegatten bei Gütertrennung
• neben einem Kind (bzw. seinem Stamm) 1/4
• neben zwei Kindern (bzw. ihren Stämmen) 1/6
• neben mehr als zwei Kindern (bzw. ihren Stämmen) 1/8
• neben Verwandten der zweiten Ordnung oder Großeltern 1/4
• neben ferneren Verwandten oder Familienfremden 1/2

Welcher Zeitpunkt ist für den Wert des Nachlasses maßgeblich?

Maßgeblich für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs ist der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls (Stichtagsprinzip, § 2311 Abs. 1 S. 1 BGB). Der Wert ist notfalls zu schätzen.
Ausnahmen vom strengen Stichtagsprinzip ordnen allerdings die §§ 2313, 2315 und 2316 BGB für die Fälle an, dass

  • sich im Nachlass aufschiebend bedingte, ungewisse oder unsichere Rechte und zweifelhafte Verbindlichkeiten befinden; diese bleiben bei der Feststellung des Nachlasswertes zunächst außer Ansatz;
  • der Erblasser vor oder bei einer lebzeitigen Zuwendung angeordnet hatte, dass diese auf den Pflichtteil anzurechnen seien, oder
  • Zuwendungen unter Abkömmlingen im hypothetischen Falle der gesetzlichen Erbfolge auszugleichen sein würden.

Weitere Ausführungen zu diesen Ausnahmevorschriften würden an dieser Stelle zu weit führen und könnten Seminare füllen…

Welche Verbindlichkeiten kann der Erbe bei der Berechnung des Pflichtteils abziehen?

Nicht alle Nachlassverbindlichkeiten i.S.d. § 1967 BGB (siehe hierzu im Einzelnen auf meiner Seite → Haftung des Erben“) sind bei der Ermittlung des Nachlasswertes zur Berechnung des Pflichtteils (§ 2311 BGB) vom Aktiv-Nachlass abzugsfähig. Hier setzen die Ersatzfunktion und der insolvenzrechtliche Rang (s. § 327 InsO) des Pflichtteils Grenzen.

Faustformel:

  1. Bei der Wertbemessung ist der Pflichtteilsberechtigte wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tod des Erblassers in Geld umgesetzt worden (BGH, Beschl. v. 25.11.10, IV ZR 124/09, Rn. 5, ZEV 2011, 29).
  2. Abzugsfähig sind nur solche Nachlassverbindlichkeiten, die auch bei gesetzlicher Erbfolge entstanden (und dann auch vom Pflichtteilsberechtigten mitzutragen gewesen) wären.
  3. Abzugsfähig sind nur diejenigen Nachlassverbindlichkeiten, die sich direkt gegen den Nachlass richten.

Abzugsfähig:

  • Erblasserschulden, also Verbindlichkeiten, die den Erblasser bereits selbst belastet haben, sofern sie vererblich und nicht aufschiebend bedingt oder zweifelhaft sind (§ 2313 BGB), so z.B. offene Darlehensverbindlichkeiten und sonstige Schulden, wie Arzt-, Krankenhaus- und sonstige Krankheitskosten, soweit sie nicht von der Krankenversicherung erstattet werden, Nach- und Herausgabevermächtnisse, nicht erloschene Unterhaltsansprüche, offene Steuerverbindlichkeiten, einschließlich der bis zum Tode angefallenen Steuer- und Hinterziehungszinsen;
  • Erbfallschulden, aber nur soweit Rechtsgrund und Notwendigkeit der Erfüllung auf den Erbfall zurückgeht und sie den Pflichtteilsberechtigten im Falle gesetzlicher Erbfolge ebenfalls getroffen hätten bzw. in seinem Interesse gewesen wären, so z.B. die Beerdigungskosten (aber nur Einzelgrab und nach h.M. keine Grabpflege, s.u.), die Kosten der Feststellung des Nachlassbestands und der Wertermittlung (§ 2314 Abs. 2 BGB), ggf. auch hierzu geführter Prozesse, die Kosten der Ermittlung der Nachlassgläubiger und der Inventarerrichtung (§§ 1993, 2314 Abs. 2 BGB), die Kosten eines Erbprätendentenstreits im Erbscheinsverfahren, soweit dieser vom Pflichtteilsberechtigten veranlasst wurde (BGH MDR 1980, 831), die Kosten der Nachlasssicherung, insbesondere einer Nachlasspflegschaft (OLG Schleswig ZEV 2010, 196; OLG Celle ZEV 2003, 509, 511), Zugewinnausgleichsansprüche nach § 1371 Abs. 2, 3 BGB, Regressansprüche des Sozialhilfeträgers nach § 102 SGB XII, die Erbenhaftung nach § 35 SGB II.

Nicht abzugsfähig:

  • Grabpflegekosten, da sie keine Nachlassverbindlichkeit i.S.d. § 1968 BGB sind (BGH, Urt. v. 26.05.21 – IV ZR 174/20, BGHZ 230, 130 = ZEV 2021, 521 mAnm Horn; s.a. meine Rezension unter Erbrecht aktuell);
  • Nachlasserbenschulden, also Verbindlichkeiten, die erst durch Rechtshandlungen des Erben entstanden sind,
  • den Erben als solchen treffende Verbindlichkeiten, wie die Erbschaftsteuer oder (latente) Ertragsteuern, aber auch die für die Zeit nach dem Erbfall festgesetzten Hinterziehungs- und Steuerzinsen (§§ 233a, 235 AO),
  • Verbindlichkeiten, die erst durch die Verfügung von Todes wegen des Erblassers entstanden sind, wie die Pflichtteilsansprüche selbst, Vermächtnisse und Auflagen, aber auch
  • die Kosten der Testamentseröffnung selbst,
  • der Dreißigste und Ansprüche nach § 1371 Abs. 4 BGB,
  • die Kosten des Erbscheins (str., verneinend die h.M., da der Erbschein nur der Legitimation des Erben dient; nach a.A. abzugsfähig, wenn der Erbschein gerade der Verwaltung und Abwicklung des Nachlasses dient, erst Recht, wenn auch im Falle der gesetzlichen Erbfolge hierfür Kosten angefallen wären, Staudinger/Herzog, § 2311 Rn. 60; vgl. auch Gutachten DNotI-Report 2001, 107),
  • Kosten der Testamentsvollstreckung (anders, wenn sie ausnahmsweise für den Pflichtteilsberechtigten von Vorteil war),
  • Kosten der Nachlassverwaltung durch die Erben (soweit sie dem Pflichtteilsberechtigten nicht nützlich waren), der Erbauseinandersetzung und eines Nachlassinsolvenzverfahrens bei Eintritt der Überschuldung nach dem Erbfall,
  • zunächst die Kreditsicherheiten, wie Hypotheken, Grundschulden, Bürgschaften, solange unsicher ist, ob der Sicherungsgeber überhaupt in Anspruch genommen wird (§ 2313 Abs. 2 BGB),
  • nach wohl h.M. bereits beim Erbfall verjährte Ansprüche,
  • i.d.R. die außergerichtlichen Anwaltskosten des Erben aus Anlass eines Streits mit dem Pflichtteilsberechtigten.

Hier können nur vereinfacht die Grundzüge der Wertermittlung dargestellt werden. Wenden Sie sich wegen Detailfragen und zur Wertberechnung bitte unbedingt an einen Fachanwalt für Erbrecht!

Kann man auf den Pflichtteil verzichten?

Man unterscheidet zwischen dem Verzicht nach dem Erbfall gegenüber dem Pflichtteilsschuldner und dem Verzicht vor dem Erbfall gegenüber dem Erblasser oder unter den zukünftigen Erben:

  • Nach dem Erbfall

Nach dem Erbfall kann der Pflichtteilsberechtigte gegenüber dem Verpflichteten jederzeit formlos auf den Pflichtteil verzichten. Dies kann durch ausdrückliche Erklärung oder schlüssiges Verhalten (konkludent) geschehen.
An die Annahme eines konkludenten Erlassvertrages (§ 397 BGB) sind aber hohe Anforderungen zu stellen.

  • Vor dem Erbfall

Vor dem Erbfall kann ein Pflichtteilsberechtigter durch notariellen Pflichtteilsverzichtsvertrag mit dem Erblasser auf sein Pflichtteilsrecht verzichten (§ 2346 Abs. 2 BGB).
Möglich ist auch, dass der Verzicht beschränkt wird auf die Einbeziehung bestimmter Gegenstände zur Berechnung des Pflichtteils oder auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch insgesamt oder im Hinblick auf bestimmte Schenkungen.

Regelmäßig, aber nicht notwendig, erkauft sich der Erblasser seine Testierfreiheit durch eine vereinbarte Abfindungszahlung.

Achtung:  Der Pflichtteilsverzicht erstreckt sich in seiner Wirkung auf die Abkömmlinge des Verzichtenden, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart wird (§ 2349 BGB)!

Der Pflichtteilsverzicht eines Sozialleistungsbeziehers ist grds. nicht sittenwidrig (BGHZ 188, 96, Urt. v. 19.01.11, IV ZR 7/10)!

Möglich ist auch ein Pflichtteilsverzicht in einem sog. Erbschaftsvertrag unter künftigen gesetzlichen Erben (§ 311b Abs. 5 BGB).
Ein solcher Vertrag ist notariell zu beurkunden und wirkt rein schuldrechtlich. Regelmäßig wird dem Verzichtenden als Ausgleich für seinen Verzicht eine Abfindung bzw. Ausgleichszahlung versprochen.

Abfindung für Pflichtteilsverzicht ist steuerpflichtig!

Die erhaltene Abfindung für einen erklärten Pflichtteilsverzicht unterliegt der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer!

Warnung von Fachanwalt für Erbrecht Ingo Lahn, Hilden:

Die Schenkungsteuer für eine Abfindungszahlung von künftigen Erben für einen Pflichtteilsverzicht richtet sich nach nunmehr geänderter Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urt. v. 10.05.17, II R 25/15) nicht mehr nach dem Verhältnis zum Erblasser, sondern nach den zwischen den zukünftigen Erben maßgeblichen Steuerklassen und Freibeträgen.
Eine derartige Vertragsgestaltung kann somit steuerlich erheblich nachteiliger sein als ein Pflichtteilsverzichtsvertrag mit dem Erblasser selbst!
Lassen Sie eine angedachte Gestaltung daher unbedingt fachlich prüfen!

Zur Besteuerung der Abfindung für einen Pflichtteilsverzicht lesen Sie hier weiter…

Zinsen auf gestundete Abfindungszahlung ist einkommensteuer­pflich­tig!

Mitunter finden sich Gestaltungen, in denen der Pflichtteilsberechtigte gegenüber dem Erblasser gegen Abfindungszahlung auf sein Pflichtteilsrecht verzichtet und sodann die fällige Abfindungszahlung verzinslich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt oder gar bis zum Tod des Letztversterbenden (oder einen anderen Zeitpunkt) stundet, so dass die Abfindung nebst Zinsen letztlich vom Erben zu zahlen ist. Dieser gestundete Anspruch kann etwa durch eine Grundschuld gesichert werden.

Nunmehr hat der BFH (Urt. v. 06.08.19, VIII R 22/17) entschieden, dass die gezahlten Zinsen der Einkommensteuer unterliegen.
Nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt.
Kapitalforderungen in diesem Sinne seien nach ständiger Rechtsprechung alle auf Geldleistung gerichteten Forderungen ohne Rücksicht auf die Dauer der Kapitalüberlassung oder den Rechtsgrund des Anspruchs.
Dadurch, dass der Pflichtteilsberechtigte durch den Verzicht auf seinen Pflichtteil einen fälligen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung erhalten hat, den er erst in einem zweiten Schritt gestundet hat, wurden die Eltern von ihrer Verpflichtung zur (sofortigen) Auszahlung befreit, so dass eine Kreditgewährung vorliegt. Die hierfür gezahlten Zinsen unterliegen somit der Besteuerung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.

Praxistipp von Fachanwalt für Erbrecht Ingo Lahn:

Diese Art der Gestaltung erweist sich als Win-Loss-Lösung: Auf der einen Seite erhält sie die Liquidität des zukünftigen Erblassers, auf der anderen Seite führt sie im Fall der Verzinsung zur Einkommensteuerpflicht des Pflichtteilsberechtigten.
Hier empfehlen sich andere Gestaltungen. Insbesondere sind bestehende Vereinbarungen zu überprüfen und ggf. anzupassen!

Ist der Pflichtteilsanspruch vererblich?

Ja! Der Pflichtteilsanspruch ist vererblich (§ 2317 Abs. 2 BGB). Verstirbt der Pflichtteilsberechtigte, kann also sein Erbe den Pflichtteilsanspruch gegenüber dem Erben des ersten Erblassers weiterverfolgen, solange der Anspruch noch nicht verjährt ist.

Beispiel:  F und M sind in zweiter Ehe verheiratet. F hat einen Sohn aus erster Ehe, SF, und M eine Tochter, TM. M verstirbt und hat die TM zu seiner Alleinerbin eingesetzt. Zwei Jahre später stirbt F, die nach dem Tod des M keinerlei Ansprüche geltend gemacht hatte.
Da F nach M enterbt war, standen ihr Zugewinnausgleichs- und Pflichtteilsansprüche zu. Diese Ansprüche kann SF nunmehr unverjährt noch gegen TM geltend machen.

Beachte: Nach einem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 07.12.16 unterliegt der geerbte Pflichtteilsanspruch der Erbschaftsteuer, selbst wenn der Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch noch nicht geltend gemacht hatte, und selbst wenn der Erbe des Pflichtteilsberechtigten gar nicht vorhat, den Anspruch überhaupt geltend zu machen (hier Rezension lesen).

Ist der Pflichtteilsanspruch pfändbar?

Nach § 2317 Abs. 2 BGB ist der Pflichtteilsanspruch übertragbar. Dies bedeutet, dass auch Gläubiger des Pflichtteilsberechtigten den Anspruch pfänden können.
Allerdings wird dieses Recht durch § 852 Abs. 1 ZPO beschränkt. Denn der Pflichtteilsberechtigte soll nicht gezwungen werden können, seinen Anspruch gegenüber seinen engsten Familienangehörigen durchsetzen zu müssen. Der Anspruch kann daher zwar rangwahrend gepfändet, er darf aber vor vertraglicher Anerkennung oder gerichtlicher Geltendmachung nicht zur Einziehung überwiesen werden (BGH, Beschl. v. 26.02.09, VII ZB 30/08).

Diese Schranke gilt unterdessen nicht für den Träger der Sozialhilfe! Nach § 93 Abs. 1 S. 4 SGB XII kann der Sozialhilfeträger den Anspruch auf sich überleiten und geltend machen, ohne dass es auf eine Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten ankäme (BGH, Urt. v. 8.12.04, IV ZR 223/03).

Kann ich meinen Pflichtteilsanspruch abtreten?

Ja! Da der Pflichtteilsanspruch nach § 2317 Abs. 2 BGB übertragbar ist, kann der Berechtigte oder dessen Erbe den Anspruch veräußern und abtreten.

Kann der Erblasser das Pflichtteilsrecht entziehen oder beschränken?

Die Pflichtteilsentziehung oder -beschränkung ist eine absolute Ausnahme und nur unter strengen und engen Voraussetzungen möglich:

Pflichtteilsentziehung

Der Erblasser kann die Pflichtteilsberechtigung nur entziehen

  • bei schweren Verfehlungen des Pflichtteilsberechtigten gegenüber dem Erblasser oder seiner Familie,
  • ferner, wenn der Pflichtteilsberechtigte wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt wurde und die Mindestteilhabe durch den Pflichtteil für den Erblasser deshalb unzumutbar ist.

Siehe zu den einzelnen Voraussetzungen: § 2333 BGB.

Die Entziehung erfolgt durch letztwillige Verfügung.
In der Verfügung muss der Erblasser den Grund der Entziehung angeben, und dieser muss zur Zeit ihrer Errichtung noch bestehen. Die Unzumutbarkeit muss in der Verfügung begründet und die begangene Tat angegeben werden (§ 2336 BGB).

Pflichtteilsbeschränkung

Ausnahmsweise kann der Erblasser durch Testament oder Erbvertrag einem Abkömmling das Pflichtteilsrecht beschränken, wenn dieser sich „in solchem Maße“

  • der Verschwendung ergeben oder
  • überschuldet hat,
  • dass sein späterer Erwerb erheblich gefährdet wird (§ 2338 BGB).

Der Beschränkungsgrund muss zur Zeit der Errichtung der Verfügung von Todes wegen bestehen. Die Beschränkung wird unwirksam, wenn der Beschränkungsgrund zur Zeit des Erbfalls nicht mehr besteht.
Der Erblasser kann das Pflichtteilsrecht aber nur insoweit beschränken, als er alle gesetzlichen Erben des Abkömmlings als Nacherben oder Nachvermächtnisnehmer einsetzt oder eine Verwaltungstestamentsvollstreckung anordnet.

Empfehlung von Fachanwalt für Erbrecht Ingo Lahn:

Hier steckt der Teufel im Detail. Bitte lassen Sie sich hierzu unbedingt von einem Fachanwalt für Erbrecht beraten!

Können Enkel den Pflichtteil fordern, wenn dem Elternteil der Pflichtteil wirksam entzogen wurde?

Ja!
Dies hat der Bundesgerichtshof in seiner sehr lesenswerten Grundsatzentscheidung vom 13.04.11 (IV ZR 204/09, dort Rn. 34, 36) entschieden. Dem ist nun auch das OLG Hamm mit Urt. v. 26.10.17 (10 U 31/17) gefolgt.
Ein Enkel ist gesetzlicher Erbe, wenn der nähere Abkömmling der Großeltern, also sein entsprechender Elternteil, nicht zur Erbfolge gelangt. Ist der Enkel ebenfalls enterbt, bestimmt sich nach § 2309 BGB, ob er den Pflichtteil verlangen kann.
Dies kann er dann, wenn – und soweit – sein Elternteil als näherer Abkömmling selbst den Pflichtteil nicht fordern kann, weil ihm dieser wirksam entzogen (§ 2333 BGB) wurde.

Wann verjährt der Pflichtteilsanspruch?

Als (lediglich) schuldrechtlicher Anspruch unterliegt der Pflichtteilsanspruch der Verjährung (§ 194 Abs. 1 S. 1 BGB). Dies bewirkt, dass nach Eintritt der Verjährung der Schuldner berechtigt ist, die Leistung zu verweigern (§ 214 Abs. 1 BGB).

Der Pflichtteilsanspruch (ebenso der Pflichtteilsergänzungsanspruch) verjährt innerhalb von drei Jahren (§ 199 Abs. 1 BGB), berechnet von dem Schluss des Jahres an,

  • in dem der Anspruch entstanden ist (mit dem Erbfall) und
  • der Gläubiger (der Pflichtteilsberechtigte) Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste
    → von den anspruchsbegründenden Umständen (also dem Erbfall sowie der beeinträchtigenden Verfügung) und
    → der Person des Schuldners (des Erben).

Kenntnisunabhängig verjährt der Pflichtteil jedoch spätestens nach 30 Jahren seit dem Erbfall (§ 199 Abs. 3a BGB).

Beachte aber die Sonderverjährung beim Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten: Hier beginnt die Verjährung bereits mit dem Erbfall (§ 2332 Abs. 1 BGB), also nicht am Jahresende und sogar kenntnisunabhängig, zu laufen!

Warnung von Fachanwalt für Erbrecht Ingo Lahn: Besondere Vorsicht ist geboten, wenn ein belasteter Erbe, der die Erbschaftsannahme anfechten will, ein Nacherbe oder ein Vermächtnisnehmer seinen Pflichtteil geltend machen möchte.
Denn nach § 2332 Abs. 2 BGB wird die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs nicht dadurch gehemmt, dass der Anspruch erst nach der Ausschlagung der Erbschaft oder eines Vermächtnisses geltend gemacht werden kann.
Dies kann dazu führen, dass Pflichtteilsansprüche bereits verjährt sind, obwohl Ausschlagungs- oder Anfechtungsfristen noch laufen oder gar noch nicht zu laufen begonnen haben!

Der Lauf der Verjährung kann nur gehemmt werden durch Verhandlungen (§ 203 BGB) oder Rechtsverfolgung (§ 204 BGB – i.d.R. die Klageerhebung). Ein bloßes Aufforderungsschreiben an den Gegner genügt hierfür nicht!

Zum Neubeginn der Verjährung des Pflichtteilsanspruchs bei Anerkenntnis des Schuldners dem Grunde nach, s. insb. BGH, Urt. v. 24.01.19, IX ZR 233/17, mit welchem das Urteil des OLG Frankfurt v. 09.06.17, 8 U 233/16 aufgehoben wurde, sowie BGH, Beschl. v. 06.11.18, XI ZR 369/18, Rn. 10:

Ein den Neubeginn der Verjährung auslösendes Anerkenntnis im Sinne des § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB liegt dann vor, wenn das Verhalten des Schuldners beim Gläubiger unzweideutig den Eindruck erweckt, dass sich der Schuldner über das Bestehen des Anspruchs – wenigstens dem Grunde nach – bewusst ist und sich deswegen das Vertrauen des Gläubigers begründet, dass sich der Schuldner nicht nach Ablauf der Verjährungsfrist alsbald auf Verjährung berufen werde.
Davon kann nicht ausgegangen werden, wenn der Schuldner den Auskunftsanspruch dem Grunde nach anerkennt, zugleich aber verschiedene Gegenrechte geltend macht.
Auch genügt es nicht, wenn der Verpflichtete – insbesondere bei bestehenden Einwendungen dem Grunde nach – nur aus Kulanz oder zur gütlichen Beilegung eines Streits eine Leistung anbietet.

Ist der Pflichtteilsanspruch erbschaftsteuerpflichtig?

Der Pflichtteilsanspruch gilt nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG als Erwerb von Todes wegen und unterliegt damit der Erbschaftsteuer. Allerdings entsteht die Steuer auf den Pflichtteilsanspruch erst mit dem Zeitpunkt der Geltendmachung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 b) ErbStG), also nicht bereits mit dem Erbfall.
Unter Geltendmachung versteht die Finanzgerichtsbarkeit das ernstliche Verlangen auf Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs. Eine Bezifferung des Anspruch ist dafür nicht erforderlich.

Auch wenn die Entstehung der Erbschaftsteuer hinausgeschoben ist, kann es schon sehr misslich sein, wenn der Pflichtteil vom Erben noch nicht geleistet ist oder möglicherweise wegen z.B. einer gerichtlichen Auseinandersetzung auf unabsehbare Zeit nicht geleistet wird, das Finanzamt aber bereits die Hand aufhält… Hier ist ggf. Vorsicht geboten!

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