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BGH: Für die Anfechtung einer Anfechtungserklärung gelten die Fristen des § 121 BGB

In dem jetzt vom Bundesgerichtshof (Beschl. v. 10.06.15, IV ZB 39/14) entschiedenen Fall ging es um die Frist für die Anfechtung einer Anfechtung.
Umstritten ist in Rechtsprechung und Literatur insoweit, ob hierfür die Fristen des § 1954 BGB – ggf. analog – gelten oder die des § 121 BGB.

Rechtlicher Hintergrund:

§§ 1954 ff. BGB ermöglichen eine Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft – gleiches gilt für die Versäumung der Ausschlagungsfrist (§ 1956 BGB) – bei Vorliegen eines relevanten Grundes. Die Anfechtungsfrist beträgt sechs Wochen ab Wegfall einer Bedrohungslage oder Kenntnis des zur Anfechtung berechtigenden Irrtums.
Die Anfechtung ist jedoch ausgeschlossen, wenn seit der Annahme oder der Ausschlagung 30 Jahre verstrichen sind (§ 1954 Abs. 4 BGB).

Nach § 121 Abs. 1 BGB muss dagegen die Anfechtung einer Willenserklärung ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) ab Kenntniserlangung vom Anfechtungsgrund erklärt werden. Nach Abs. 2 ist die Anfechtung ausgeschlossen, wenn seit Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind.

Diesen Streit hat der BGH nun entschieden:

Leitsatz der Entscheidung BGH, IV ZB 39/14:

„Für die Anfechtung der Anfechtungserklärung der Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft sowie der Versäumung der Ausschlagungsfrist (§ 1956 BGB) gelten die Fristen des § 121 BGB, nicht diejenigen des § 1954 BGB.“

Wesentlicher Sachverhalt und Gründe:

In dem entschiedenen Fall hatte eine Erbin im Jahre 1996 die Versäumung der Ausschlagungsfrist angefochten, da sie über die Ausschlagungsfrist geirrt habe und meinte, der Nachlass sei überschuldet. 2013 focht sie sodann diese Anfechtungserklärung wieder an, da sie erfahren habe, dass zum Nachlass der Erblasserin noch ein Anteil am Nachlass einer Großtante gehörte.

Der BGH stellte zunächst fest, dass auch eine Anfechtungserklärung nach §§ 1954, 1956 BGB ihrerseits angefochten werden und sich ein Anfechtungsgrund aus dem Irrtum über eine tatsächlich nicht gegebene Überschuldung des Nachlasses ergeben könne, da die Zusammensetzung des Nachlasses eine verkehrswesentliche Eigenschaft im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB darstelle.

Sodann schloss sich der BGH aber der überwiegenden Auffassung an und entschied, dass für die Anfechtung der Anfechtung die Fristen des § 121 BGB gelten; nach dessen Abs. 2 war die Anfechtung somit verfristet.

„Eine unmittelbare Anwendung von § 1954 Abs. 1 BGB kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil hier nicht die Anfechtung der Annahme oder der Ausschlagung, sondern die Anfechtung der Anfechtungserklärung in Rede steht. Da diese in den §§ 1954, 1956 f. BGB nicht geregelt ist, gelten für sie die allgemeinen Vorschriften der §§ 119 ff. BGB.
Auch für eine entsprechende Anwendung von § 1954 BGB besteht keine Veranlassung. (…)
Auch aus praktischen Gründen besteht kein Bedarf für eine Anwendung der längeren Anfechtungsfristen des § 1954 BGB gegenüber denjenigen in § 121 BGB. Hat ein Beteiligter bereits einmal seine Annahme oder Ausschlagung angefochten und erfährt er später, dass diese Anfechtungserklärung auf einem Irrtum beruhte, so ist es ihm zuzumuten, nunmehr unverzüglich im Sinne von § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB die Anfechtung zu erklären, damit möglichst schnell Rechtssicherheit hergestellt wird.“

Anmerkungen von Rechtsanwalt Ingo Lahn, Fachanwalt für Erbrecht in Hilden bei Düsseldorf:

Die Entscheidung ist grundsätzlich zu begrüßen, zielt sie erklärtermaßen darauf ab, schnellstmöglich Rechtssicherheit herzustellen.

Allerdings gibt es einen Wertungswiderspruch: Hätte die Erbin seinerzeit fristgerecht ausgeschlagen, dann hätte sie ohne weiteres noch nach 30 Jahren die Ausschlagung anfechten können (freilich dann innerhalb von sechs Wochen ab Kenntniserlangung vom Vermögen der Großtante; vgl. § 1954 Abs. 1, 4 BGB).
Hier hatte die Erbin jedoch die Ausschlagungsfrist versäumt und die Fristversäumung angefochten (was nach § 1957 BGB als Ausschlagung gilt), so dass die Erbin nur maximal 10 Jahre anfechten kann (und dann auch unverzüglich nach Kenntniserlangung vom Vermögen anfechten muss)…
Dieser Wertungswiderspruch ist aber durch die unterschiedlichen Anfechtungshöchstfristen infolge der Schuldrechtsmodernisierung begründet worden. Daher ist eher zweifelhaft, ob eine planwidrige Gesetzeslücke vorliegt, die der BGH mit einer analogen Anwendung des § 1954 BGB hätte schließen dürfen.

Für den Praktiker wichtig zu beachten ist nach dieser Entscheidung jedenfalls, dass er für die Anfechtung einer Anfechtungserklärung nun nicht mehr sechs Wochen zuwarten kann, sondern die Erklärung unverzüglich abgeben muss, d.h. „ohne schuldhaftes Zögern“ (i.d.R. zwei Wochen).

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