Der Bundesgerichtshof (Urt. v. 07.06.05, XI ZR 311/04) vertritt schon seit längerem die Auffassung, dass dem Erben von den Kreditinstituten auch ohne Nachweis des Erbrechts durch einen Erbschein Zugriff auf das Konto des Erblassers zu gewähren ist, wenn er ein eröffnetes notarielles Testament oder einen notariellen Erbvertrag vorlegt, aus dem sich seine Legitimation als Erbe ergibt.
In einem späteren Urteil hat der BGH dann gar eine allgemeine Geschäftsbedingung, nach der das Geldinstitut zum Nachweis des Erbrechts bzw. der Berechtigung einen Erbschein, ein Testamentsvollstreckerzeugnis oder ein ähnliches gerichtliches Zeugnis verlangen konnte, für unwirksam erklärt (Urt. v. 08.10.13, XI ZR 401/12).
BGH, XI ZR 440/15: Zum Nachweis des Erbrechts reicht i.d.R. ein eröffnetes eigenhändiges Testament
Nunmehr hat der (u.a. für das Bankrecht zuständige) XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 05.04.16, XI ZR 440/15) in Fortführung seiner Entscheidung vom 07.06.05 sogar entschieden, dass der Erbe zum Nachweis des Erbrechts auch ein eröffnetes eigenhändiges Testament vorlegen kann, wenn dieses die Erbfolge mit der im Rechtsverkehr erforderlichen Eindeutigkeit nachweist.
Abgesehen von Sonderregelungen sei der Erbe nicht verpflichtet, sein Erbrecht durch einen Erbschein nachzuweisen, sondern hat auch die Möglichkeit, diesen Nachweis in anderer Form zu erbringen (BGH, Urt. v. 10.12.04, V ZR 120/04, NJW-RR 2005, 599, 600, und vom 07.06.05, XI ZR 311/04, WM 2005, 1432, 1433 m.w.N). Dazu gehören neben dem öffentlichen Testament auch das eigenhändige Testament oder im Falle gesetzlicher Erbfolge Urkunden, aus denen sich diese ergibt.
Zwar sei bei einem privatschriftlichen Testament die Gefahr einer Rechtsunkenntnis, einer unentdeckt fehlenden Testierfähigkeit, einer Fälschung oder eines Verlusts höher als bei einem notariellen Testament.
Dies rechtfertige aber nicht den Schluss, dass ein handschriftliches Testament den Nachweis einer Erbenstellung grundsätzlich nicht erbringen könne. Beide Testamentsformen seien nach § 2231 BGB gleichwertig.
Eindeutigkeit der Erbfolge?
Mit „gleichwertig“ ist hier gemeint, dass das durch einen Notar formulierte Testament und das eigenhändige Testament gleichwertig in ihrer Wirksamkeit sind. Meist nicht gleichwertig sind sie in der Verwendung erbrechtlicher Rechtsbegriffe. Daher geht aus Laien-Testamenten die Erbfolge nicht immer eindeutig hervor.
Hierzu führt der BGH dann weiter aus (Rn. 25):
„Eine gesteigerte Auslegungspflicht der Bank besteht allerdings nicht. Andererseits berechtigen lediglich abstrakte Zweifel die Bank nicht dazu, einen Erbschein zu verlangen. Nur bei konkreten und begründeten Zweifeln an der Richtigkeit der durch das eigenhändige Testament belegten Erbfolge ist die Bank berechtigt, ergänzende Erklärungen des oder der Erbprätendenten einzuholen oder sich weitere Unterlagen, wie z.B. das Familienstammbuch oder einen Erbschein vorlegen zu lassen.“
Sonderregelungen: Diese Rechtsprechung gilt ausdrücklich nicht für gesetzlich geregelte Sonderfälle, in denen der Erbe seine Rechtsstellung grundsätzlich durch einen Erbschein nachzuweisen hat.
Wichtigste Regelungen sind hier § 35 Abs. 1 Satz 1 GBO für Grundbuchsachen und § 12 Abs. 1 S. 4 HGB für das Handelsregister.
Weitere Sonderbestimmungen enthalten § 41 Abs. 1 Satz 1 SchRegO für Schiffe und § 86 LuftFzgG für Luftfahrzeuge.
Kritische Anmerkung von Rechtsanwalt Ingo Lahn, Fachanwalt für Erbrecht in Hilden:
Ich sehe die – wohl gemerkt vom Bankrecht-Senat, nicht vom Erbrecht-Senat beim BGH – eingeschlagene Tendenz eher kritisch.
Zwar ist – jedenfalls in offenkundigen Fällen – durchaus zu begrüßen, dass Erben nicht mehr den zeit- und kostenintensiven Weg eines Erbscheinsverfahrens gehen müssen, um ihr Erbrecht z.B. gegenüber Banken und Sparkassen nachzuweisen zu können.
Gleichwohl birgt die Rechtsprechung erhebliche Risiken, die mit der Vorlage eines Erbscheins, der gerade dazu dient, dem Rechtsverkehr die notwendige Sicherheit bei Rechtsgeschäften mit den Erben zu verschaffen, eigentlich vermieden werden sollten.
Der Sinn und Zweck des Erbscheins wird durch diese Rechtsprechung folglich immer weiter ausgehöhlt.
Was im Einzelfall unter „konkreten und begründeten Zweifeln an der Richtigkeit der (…) Erbfolge“ zu verstehen ist, bleibt in der Entscheidung dann auch offen. Die Grenzen dürften wohl fließend verlaufen.
Wer trägt zukünftig das Risiko von Fälschungen, einer Testierunfähigkeit oder Anfechtung eines Testaments? Wie verhält es sich bei der rechtlichen Bewertung von auslegungsbedürftigen Verfügungen, Fragen des Widerrufs, bei auflösenden oder aufschiebenden Bedingungen, z.B. Pflichtteilsklauseln?
Risiken im Scheidungsfall
Welches Risiko diese neuere Rechtsprechung birgt, zeigt sich insbesondere bei gemeinschaftlichen Ehegattentestamenten oder Erbverträgen von Ehegatten im Falle einer Ehescheidung. Denn die Erbeinsetzung des Ehegatten wird nach § 2279 Abs. 2 (für den Erbvertrag) bzw. § 2268 Abs. 1 (für das gemeinschaftliche Testament) i.V.m. § 2077 BGB grds. unwirksam, wenn der Erblasser einen begründeten Scheidungsantrag gestellt oder einem solchen zugestimmt hat.
Folgender Fall aus der Praxis:
Der Erblasser hatte mit seiner (damaligen) Ehefrau einen Erbvertrag mit gegenseitiger Erbeinsetzung geschlossen. Die Ehe wurde später geschieden; der Erblasser heiratete erneut und verstarb Jahre später, ohne eine weitere Verfügung von Todes wegen zu hinterlassen. Demzufolge eröffnete das Nachlassgericht „nur“ diesen Erbvertrag – und zwar auch der Ex-Ehefrau, die den Ehenamen behalten hatte, weil sie aus dem Erbvertrag als eingesetzte Erbin hervorging.
Die Ex-Ehefrau gerierte sich in der Folgezeit als Alleinerbin, holte unter Vorlage des eröffneten Erbvertrages diverse Auskünfte ein, ließ sich von der finanzierenden Bank, nachdem eine Risikolebensversicherung den Restkaufpreis gezahlt hatte, den Fahrzeugbrief zu dem Kfz. des Erblassers herausgeben und diesen sodann auf sich „umschreiben“.
Hätte die Hausbank des Erblassers nicht von der Ehescheidung gewusst und „hellwach“ reagiert, hätte die Ex sogar noch die Konten des Erblassers „abräumen“ können…