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Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen im Zusammenhang mit dem Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen

Der u.a. für Familien- und Betreuungssachen zuständige XII. Zivilsenat beim Bundesgerichtshof hat – im Anschluss an seine Grundsatzentscheidung vom 17.09.14, BGHZ 202, 226 – nunmehr mit Beschluss vom 06.07.16 (XII ZB 61/16) über die konkreten Anforderungen entschieden, die Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen im Zusammenhang mit dem Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen erfüllen müssen.

Hier sollen primär die Anforderungen an Patientenverfügungen dargestellt werden:

Die Leitsatz-Entscheidung des BGH, XII ZB 61/16:

„a) Der Bevollmächtigte kann in eine der in § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB genannten Maßnahmen nur einwilligen, nicht einwilligen oder die Einwilligung widerrufen, wenn der Vollmachttext hinreichend klar umschreibt, dass sich die Entscheidungskompetenz des Bevollmächtigten auf die im Gesetz genannten ärztlichen Maßnahmen sowie darauf bezieht, sie zu unterlassen oder am Betroffenen vornehmen zu lassen. Hierzu muss aus der Vollmacht auch deutlich werden, dass die jeweilige Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann.

b) Einem für einen Betroffenen bestehenden Betreuungsbedarf wird im Zusammenhang mit der Entscheidung zur Durchführung von lebensverlängernden Maßnahmen im Sinne des § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB durch eine Bevollmächtigung erst dann nicht ausreichend Genüge getan, wenn offenkundig ist, dass der Bevollmächtigte sich mit seiner Entscheidung über den Willen des Betroffenen hinwegsetzen würde.

c) Die schriftliche Äußerung, „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ zu wünschen, enthält für sich genommen nicht die für eine bindende Patientenverfügung notwendige konkrete Behandlungsentscheidung des Betroffenen. Die insoweit erforderliche Konkretisierung kann aber gegebenenfalls durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen erfolgen.

Sachverhalt und Gründe:

Im Jahre 2011 erlitt die Betroffene einen Hirnschlag und wird seitdem über eine Magensonde künstlich ernährt. 2013 verlor sie ihre Fähigkeit zur verbalen Kommunikation.
Im entschiedenen Fall stritten ihre Töchter um die Frage, ob die künstliche Ernährung abgebrochen werden soll.

Patientenverfügung

Es existierte eine „Patientenverfügung“ folgenden Inhalts:

„Für den Fall, dass ich (…) aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Bewusstseinstrübung (…) nicht mehr in der Lage bin, meinen Willen zu äußern, verfüge ich:
Solange eine realistische Aussicht auf Erhaltung eines erträglichen Lebens besteht, erwarte ich ärztlichen und pflegerischen Beistand unter Ausschöpfung der angemessenen Möglichkeiten.
Dagegen wünsche ich, dass lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn medizinisch eindeutig festgestellt ist, dass

  • ich mich unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozess befinde, bei dem jede lebenserhaltende Therapie das Sterben oder Leiden ohne Aussicht auf Besserung verlängern würde, oder
  • keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht, oder
  • aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibt, oder
  • es zu einem nicht behandelbaren, dauernden Ausfall lebenswichtiger Funktionen meines Körpers kommt.

Behandlung und Pflege sollen in diesen Fällen auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein, selbst wenn durch die notwendige Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist. Ich möchte in Würde und Frieden sterben können, nach Möglichkeit in meiner vertrauten Umgebung.
Aktive Sterbehilfe lehne ich ab.
Ich bitte um menschliche und seelsorgerische Begleitung.“

 

Vollmacht

In derselben Urkunde erteilte sie einer ihrer Töchter als ihrer Vertrauensperson für den Fall, dass sie außerstande sein sollte, ihren Willen zu bilden oder zu äußern, die Vollmacht,

„an meiner Stelle mit der behandelnden Ärztin (…) alle erforderlichen Entscheidungen abzusprechen. Die Vertrauensperson soll meinen Willen im Sinne dieser Patientenverfügung einbringen und in meinem Namen Einwendungen vortragen, die die Ärztin (…) berücksichtigen soll.“

Die Vollmacht enthielt zudem die Befugnis, über den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen zu entscheiden mit dem Zusatz, dass die Betroffene im Falle einer zum Tode führenden Erkrankung keinen Wert auf solche Maßnahmen lege, wenn feststehe, dass eine Besserung des Zustands nicht erwartet werden könne.

Sowohl die Bevollmächtigte und die behandelnde Hausärztin waren der Auffassung, dass der Abbruch der künstlichen Ernährung gegenwärtig nicht dem Willen der Betroffenen entspricht.
Die anderen beiden anderen Töchter sahen dies anders und drängten auf Abbruch der künstlichen Ernährung.
Das Beschwerdegericht hat eine der Töchter zur Betreuerin bestellt mit dem Aufgabenkreis „Widerruf der von der Betroffenen erteilten Vollmachten, allerdings nur für den Bereich der Gesundheitsfürsorge“.
Die Rechtsbeschwerde der bevollmächtigten Tochter war erfolgreich.

Anforderungen an Vorsorgevollmachten

Entscheidende Norm ist § 1904 BGB (lesen!), die nach dessen Abs. 5 auch für den Bevollmächtigten gilt.
Ein Bevollmächtigter kann hiernach die Einwilligung, Nichteinwilligung und den Widerruf der Einwilligung des einwilligungsunfähigen Betroffenen ersetzen, wenn

  • die Vollmacht schriftlich erteilt ist,
  • der Vollmachttext hinreichend klar umschreibt, dass
  • die Entscheidungskompetenz des Bevollmächtigten sich
  • auf die im Gesetz genannten ärztlichen Maßnahmen sowie
  • auf deren Vornahme oder Unterlassung am Betroffenen bezieht und
  • aus der Vollmacht deutlich wird, dass die jeweilige Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann.

Nicht ausreichend, so der BGH, sei allein der Verweis auf die gesetzliche Bestimmung, weil ein solcher keine ausdrückliche Nennung der Maßnahmen beinhaltet und damit den mit § 1904 Abs. 5 Satz 2 BGB bezweckten Schutz des Vollmachtgebers (vgl. BT-Drucks. 13/7158 S. 34) nicht gewährleisten kann.

Anforderungen an Patientenverfügungen – Bindungswirkung

Eine schriftliche Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB entfaltet unmittelbare Bindungswirkung nur dann, so der BGH (ab Rn. 46),

wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können. Von vornherein nicht ausreichend sind allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist. Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürfen aber auch nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht. (…) Die Äußerung, „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ zu wünschen, enthält jedenfalls für sich genommen keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung. Die insoweit erforderliche Konkretisierung kann aber gegebenenfalls durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen erfolgen.“

 

Im Ergebnis erzeugte die Patientenverfügung keine Bindungswirkung für den Abbruch der künstlichen Ernährung!

Der BGH subsumiert, dass der Patientenverfügung keine bindende, auf den Abbruch der künstlichen Ernährung gerichtete Äußerung zu entnehmen sei. Die Verfügung benenne eben keine konkreten Behandlungsmaßnahmen, sondern bezöge sich nur ganz allgemein auf „lebensverlängernde Maßnahmen“.
Auch im Zusammenspiel mit den weiteren enthaltenen Angaben ergäbe sich nicht die für eine Patientenverfügung zu verlangende bestimmte Behandlungsentscheidung. (…)
Die Patientenverfügung stelle alternativ auf vier verschiedene Behandlungssituationen ab. Aber gerade der [vom Landgericht angenommene] „schwere Dauerschaden des Gehirns“ sei so wenig präzise, dass kein Rückschluss auf einen gegen konkrete Behandlungsmaßnahmen wie hier die künstliche Ernährung mittels PEG-Sonde gerichteten Willen der Betroffenen gezogen werden könne.

Die Sache wurde zur weiteren Aufklärung an das Landgericht zurückverwiesen.

Praxishinweis von Rechtsanwalt Ingo Lahn, Fachanwalt für Erbrecht in Hilden:

Die jetzige Entscheidung hat immense Auswirkung auf die meisten Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen, insbesondere solche, die anhand gängiger (Internet-) Muster-Vorlagen formuliert wurden.
Daher sollten Sie nun dringend bereits errichtete privatschriftliche und notariell beurkundete Vorsorgeurkunden und Patientenverfügungen darauf überprüfen lassen, ob sie den vom XII. Senat aufgestellten Bestimmtheitsanforderungen genügen!

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