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Das OLG Düsseldorf hat am 19.02.16 (I-3 Wx 34/15, NJW-RR 2016, 779) eine überraschende Entscheidung zur Verwirkung einer sog. Pflichtteilsklausel (auch Pflichtteilsstrafklausel genannt) getroffen.

Ausgangslage „Berliner Testament“

Eheleute setzen sich sehr häufig in gemeinschaftlichen Testamenten oder Erbverträgen gegenseitig zum Alleinerben des Erstversterbenden ein und bestimmen dann ihre Abkömmlinge zu Schlusserben des Letztversterbenden.
Derartige Gestaltungen haben zur Folge, dass die Abkömmlinge beim Tod des Erstversterbenden von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen (also enterbt) sind und ihren Pflichtteilsanspruch geltend machen können.

Pflichtteilsklausel zum Schutz des überlebenden Ehegatten

Um den überlebenden Ehegatten – wirtschaftlich, nicht rechtlich – vor der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen zu schützen, finden sich in solchen letztwilligen Verfügungen nicht selten sog. „Pflichtteilsklauseln“, wie z.B.:

„Sollte eines unserer Kinder nach dem Tode des Erstversterbenden von uns seinen Pflichtteil geltend machen, so ist es auch nach dem Tode des Überlebenden von uns enterbt.“

[Anm.: Hier gibt es freilich deutlich bessere Klauselgestaltungen!]

Kenntnis von der Pflichtteilklausel erforderlich?

Soweit ersichtlich wurden derartige Pflichtteilsklauseln nach bislang herrschender Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Literatur ausgelöst

  • objektiv durch ein ausdrückliches und ernsthaftes sowie
  • in subjektiver Hinsicht bewusstes Verlangen des Pflichtteils in Kenntnis der Pflichtteilsklausel (so noch OLG Düsseldorf, ZEV 2011, 653).

Nach dem OLG Düsseldorf keine Kenntnis von der Pflichtteilsklausel erforderlich

Anders nunmehr das OLG Düsseldorf (a.a.O.), das für das Eingreifen der Pflichtteilsklausel (also den Eintritt der auflösenden Bedingung und damit den Wegfall der Erbeinsetzung) genügen ließ, dass ein Abkömmling seinen Pflichtteil geltend machte, obwohl er keine Kenntnis von einer Pflichtteilsklausel hatte (und haben konnte).

Sachverhalt:

In dem entschiedenen Fall war nach der verstorbenen Mutter ein gemeinschaftliches Testament der Eltern eröffnet worden, in dem sich diese gegenseitig zu Erben des Erstversterbenden und die beiden Töchter zu Schlusserbinnen des Letztversterbenden eingesetzt hatten.
Eine Pflichtteilsklausel enthielt das eröffnete Testament nicht.
Eine Tochter machte später ihren Pflichtteil gegen den Vater geltend und erhielt diesen auch.

Erst nach dem Tode des Vaters wurde dann ein Ergänzungstestament der Eltern mit („fakultativer“) Pflichtteilsklausel und Testamentseröffnungsverbot für den ersten Erbfall sowie ein kurz nach dem Tod der Ehefrau errichtetes Testament des Vaters eröffnet, in dem er die Enterbung derjenigen Tochter anordnete, die nach dem Tod seiner Frau den Pflichtteil gegen ihn geltend machen würde.

Auslegung des OLG Düsseldorf:

„Selbstverständlich“ könne, so der u.a. für Beschwerden in Nachlassverfahren zuständige 3. Zivilsenat des OLG Düsseldorf, „eine Verwirkungsklausel auch dahingehend ausgelegt werden, dass es nur auf die objektive Verwirklichung ihrer Voraussetzungen ankommt“, und zog für die Auslegung des entsprechenden Erblasserwillens, dass die Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten von der Pflichtteilsklausel gerade keine Voraussetzung für den Bedingungseintritt sein sollte, das (nichtige, § 2263 BGB!) Eröffnungsverbot aus dem Ergänzungstestament heran.
Hieraus sei „eindeutig der Wille des Erblassers und seiner vorverstorbenen Ehefrau zu entnehmen …, dass ihre beiden Töchter von der Möglichkeit einer Enterbung im Falle einer Pflichtteilsforderung nach dem Tode des Erstversterbenden nichts erfuhren.“

Da das OLG die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist damit nach dem FamFG (hier ging es um ein Erbscheinsverfahren) der Rechtsweg zum Bundesgerichtshof nicht eröffnet.

Fazit von Rechtsanwalt Ingo Lahn, Fachanwalt für Erbrecht in Hilden:

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf hat m.E. weitreichende Konsequenzen für die Beratungs- und Gestaltungspraxis:

In der Beratungspraxis verpflichtet sie den Rechtsanwalt zu noch größerer Sorgfalt bei der Beratung von pflichtteilsberechtigten Abkömmlingen, die nach dem Erstversterbensfall ihren Pflichtteil geltend machen möchten. Denn diese können nicht (mehr) darauf „vertrauen“, dass nicht irgendwann eine weitere letztwillige Verfügung mit Pflichtteilsklausel „auftaucht“ (etwa weil die Verfügung noch nicht aufgefunden, abgeliefert oder vom Nachlassgericht nur noch nicht eröffnet wurde), und ein Gericht zu der Auslegung gelangt oder gar in der Verfügung ausdrücklich bestimmt ist, dass es auf die Kenntnis von der Pflichtteilsklausel nach dem Erblasserwillen nicht ankommen solle.
[In dem Fall des OLG Düsseldorf durfte die Tochter nach dem Tode der Mutter aufgrund der (vermeintlichen) Bindungswirkung der Schlusserbeneinsetzung in dem (einzig) eröffneten Testament sogar davon ausgehen, dass ihr Vater sie nicht mehr einseitig würde wirksam enterben können, selbst wenn sie den Pflichtteil geltend macht.]

Die pflichtteilsberechtigten Abkömmlinge (und ihre anwaltlichen Berater) werden nun stets sorgfältig abwägen müssen, ob sie vor dem Risiko einer möglicherweise vollständigen Enterbung gleichwohl den Pflichtteil nach dem erstverstorbenen Elternteil geltend machen wollen.
Jedenfalls wird der Anwalt auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf und seine Konsequenzen hinzuweisen haben – schon im eigenen Haftungsinteresse!

Aber auch in der Gestaltungspraxis können sich die Testatoren nun überlegen, ob sie eine Pflichtteilsklausel um die Bestimmung ergänzen wollen, dass es auf die Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten nicht ankommen soll.
Damit dürfte dann allerdings der Zweck dieser Klausel, den Überlebenden vor der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen zu schützen, kaum erreicht werden…

Siehe zu der Entscheidung des OLG Düsseldorf auch meinen Artikel auf der Homepage des → „Netzwerk Deutscher Erbrechtsexperten“

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