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BGH: Der durch gerichtlichen Beschluss festgestellte Vergleich steht einer notariellen Beurkundung gleich

Der Bundesgerichtshof hat nunmehr die in Rechtsprechung und Literatur heftig umstrittene Frage geklärt, ob der im schriftlichen Verfahren abgeschlossene und durch Beschluss festgestellte Vergleich (§ 278 Abs. 6 ZPO) das für viele Rechtsgeschäfte vorgesehene Formerfordernis der „notariellen Beurkundung“ ersetzt.

In seinem Grundsatz-Beschluss vom 01.02.17 (XII ZB 71/16, BGHZ 214, 45 – sehr lesenswert!) hat der u.a. für das Familienrecht zuständige XII. Senat des BGH diese Frage bejaht, was für den Rechtsanwender erhebliche Auswirkungen auf Vereinbarungen in gerichtlichen Verfahren nicht nur im Bereich des Familienrechts, sondern insbesondere auch des Gesellschafts-, Grundstücks- und Erbrechts haben wird.

 

Leitsatz der BGH-Entscheidung XII ZB 71/16:

Auf einen gerichtlich festgestellten Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO findet § 127a BGB entsprechende Anwendung.

(Übersetzung: Ein gerichtlicher Beschlussvergleich ersetzt die notarielle Beurkundung.)

 

Kurz-Sachverhalt:

In einem Ehescheidungsverfahren hatten die Eheleute schriftsätzlich gegenüber dem Gericht einen Scheidungsfolgenvergleich abgeschlossen, den das Familiengericht sodann gem. §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 278 Abs. 6 ZPO durch Beschluss als zustande gekommen feststellte.
Später wollte der Ehemann von dem Vergleich nichts mehr wissen und verlangte von seiner Ex-Frau Zugewinnausgleich, da die Vereinbarung über den Zugewinnausgleich formunwirksam zustande gekommen sei.
Damit wurde er in allen drei Instanzen nicht gehört.

Rechtlicher Hintergrund:

Viele Rechtsgeschäfte bedürfen zu ihrer Formwirksamkeit der notariellen Beurkundung, so auch eine Vereinbarung über den Zugewinnausgleich (§ 1378 Abs. 3 S. 2 BGB).
§ 127a BGB bestimmt, dass die notarielle Beurkundung bei einem gerichtlichen Vergleich durch die Aufnahme der Erklärungen in ein nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung errichtetes Protokoll ersetzt wird.
Nach § 278 Abs. 6 ZPO kann ein gerichtlicher Vergleich auch dadurch abgeschlossen werden, dass die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten oder einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht annehmen. Das Gericht stellt dann das Zustandekommen und den Inhalt des so geschlossenen Vergleichs durch Beschluss fest (sog. Beschlussvergleich).

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Da die Scheidungsfolgenvereinbarung weder notariell beurkundet noch in einem Termin zur mündlichen Verhandlung gerichtlich protokolliert wurde, hing die Formwirksamkeit der Vereinbarung entscheidend davon ab, ob die (von § 1378 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 BGB geforderte) Form der notariellen Beurkundung durch die gerichtliche Feststellung des Vergleichs (nach § 113 Abs. 1 S. 1 FamFG i.V.m. § 278 Abs. 6 ZPO) gewahrt ist.

Meinungsstand:

  • Nach vielfacher Meinung ist § 127a BGB auf Vergleiche nach § 278 Abs. 6 ZPO nicht anwendbar, da keine hinreichende „Funktionsäquivalenz“ zwischen einer notariellen Beurkundung und dem Beschlussvergleich bestehe. Insbesondere fehle es an dem Schutz der durch die Formvorschriften gewollten unabhängigen Beratung und Warnung durch einen Notar, der im Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO durch den Richter nicht gewahrt sei. Auch werde kein Protokoll i.S.v. § 160 ZPO errichtet.
  • Eine andere Auffassung bejahrt die Anwendbarkeit des § 127a BGB jedenfalls dann auf Beschlussvergleiche, wenn dem abgeschlossenen Vergleich ein vom Gericht begründeter Vergleichsvorschlag zu Grunde lag, weil diesem dann eine gerichtliche Prüfung vorausgehe, die mit der eines Notars vergleichbar sei .
  • Die vermeintlich überwiegende Meinung erachtet den im Beschlusswege festgestellten Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO für einen vollwertigen gerichtlichen Vergleich, der in analoger Anwendung des § 127 a BGB die für ein Rechtsgeschäft erforderliche notarielle Beurkundung stets ersetze.

Analoge Anwendung der Formersetzung auf Beschlussvergleiche

Der BGH schließt sich der letztgenannten Auffassung an und wendet § 127a BGB auf Vergleiche nach § 278 Abs. 6 ZPO analog an.
§ 127a BGB könne zwar nach seinem Wortlaut nicht unmittelbar angewandt werden, da es beim Vergleichsbeschluss an der Protokollierung fehle (Tz. 26).
Allerdings läge eine planwidrige Regelungslücke vor, die eine analoge Anwendung der Vorschrift rechtfertige (Tz. 27 ff.).

Dabei arbeitet der Senat aus der Gesetzgebungshistorie und den Materialen heraus, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des Beschlussvergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO zum 01.01.02 eine vollständige Gleichstellung zum gerichtlich protokollierten Vergleich schaffen wollte, um die Rechtspflege zu entlasten.
Dass dabei der Wortlaut des § 127a BGB nicht angepasst wurde, beruhe darauf, „dass der Reformgesetzgeber den durch die Einführung des Beschlussvergleichs nachträglich entstandenen Regelungsbedarf nicht erkannt hat“ (Tz. 30).

Vergleichbarkeit der Sachverhalte

Es bestehe auch die für eine Analogie erforderliche Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Diese Voraussetzung sei erfüllt, wenn

„der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen.“

So lägen die Dinge hier (Tz. 31).

Auf Funktionsäquivalenz kommt es nicht an

Gegen eine Analogie spreche auch nicht die fehlende „Funktionsäquivalenz“ von Beschlussvergleichen zur notariellen Beurkundung (Tz. 32 f.).
Der Senat unterscheidet in der Folge sodann klar zwischen

  • dem vom Gesetzgeber mit dem Formerfordernis der „notariellen Beurkundung“ verfolgen Zweck (insb. Klarstellungs-, Beratungs-, Warn- und Beweisfunktion) einerseits und
  • der gesetzgeberischen Wertung, dass ein prozessrechtlich ordnungsgemäßer Vergleich vor Gericht die notarielle Beurkundung ersetzen soll, andererseits,

und führt aus:

„Die formersetzende Wirkung eines gerichtlichen Vergleichs setzt deshalb nicht voraus, dass im gerichtlichen Verfahren die für eine notarielle Beurkundung maßgeblichen Anforderungen eingehalten sind. Ausreichend ist nach der in § 127 a BGB zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertung, wonach ein ordnungsgemäß protokollierter Vergleich einer notariellen Beurkundung gleichwertig ist, dass bei dem Vergleichsschluss die einschlägigen prozessrechtlichen Vorschriften eingehalten wurden. Für die Frage der entsprechenden Anwendbarkeit des § 127 a BGB auf den Beschlussvergleich kann daher nicht darauf abgestellt werden, inwieweit das Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO die Förmlichkeiten einer notariellen Beurkundung nach §§ 17 ff. BeurkG erfüllt. Entscheidend ist vielmehr, ob der Beschlussvergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO einem ordnungsgemäß protokollierten Vergleich soweit entspricht, dass eine entsprechende Anwendung des § 127 a BGB gerechtfertigt ist.“

Dies bejaht der Senat im Folgenden (Tz. 34 ff.) und betont zudem, dass

„der Schutz der Beteiligten vor einer übereilten Entscheidung im Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO sogar meist besser gewährleistet sein dürfte als bei der Protokollierung eines gerichtlichen Vergleichs im Rahmen einer mündlichen Verhandlung, innerhalb derer sie über den Vergleichsschluss entscheiden müssen“ (Tz. 37).

Denn im Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO hätten die Beteiligten die Möglichkeit, die beabsichtigte Vereinbarung ausführlich und ohne Zeitdruck, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme rechtlicher Beratung, zu prüfen.


Anmerkung und Hinweise von Rechtsanwalt Ingo Lahn, Fachanwalt für Erbrecht in Hilden:

Diese auf den ersten Blick überraschende Entscheidung überzeugt jedenfalls auf dem zweiten.
Insbesondere bietet sie für den bundesweit tätigen Erbrechts-Praktiker eine erhebliche Arbeitserleichterung und Zeitersparnis bei der Lösung gerichtlich ausgetragener Erbkonflikte, da zeitaufwendige Anreisen zu mündlichen Verhandlungsterminen entfallen können.

Nicht geklärt durch die BGH-Entscheidung ist dagegen weiterhin (weil hierüber nicht befunden werden musste), ob auch

durch Beschlussvergleich wirksam vereinbart werden kann.

Ich meine: Nein.
Denn in diesen Fällen erfordert das Gesetz das weitere (materiell-rechtliche) Wirksamkeitserfordernis der „gleichzeitigen Anwesenheit“ der Vertragschließenden bei Abgabe und Annahme des Vertragsangebots.
Der Beschlussvergleich ersetzt unterdessen nur die notarielle Beurkundung, wohl aber nicht auch die gleichzeitige Anwesenheit als weitere Wirksamkeitsvoraussetzung.
Zwar müssen die Vertragschließenden bei Auflassung und Ehevertrag nicht persönlich  gleichzeitig anwesend sein; Stellvertretung (etwa durch ihre bevollmächtigen Anwälte) ist möglich. Anders als bei einem vor Gericht protokollierten Vergleich sind beim Beschlussvergleich die Parteien oder Anwälte aber gerade nicht anwesend… – schon gar nicht gleichzeitig.
Daran ändert auch der Verweis in § 925 Abs. 1 S. 3 BGB nichts.

Beim Erbvertrag kommt noch erschwerend hinzu, dass der (unbeschränkt geschäftsfähige) Erblasser nur persönlich einen Erbvertrag schließen kann (§ 2274 BGB), was bedeutet, dass bei der angeordneten „gleichzeitigen Anwesenheit“ der Erblasser anwesend sein muss (während der Vertragspartner, wenn er keine eigenen Verfügungen trifft, sich vertreten lassen kann).

Hier ist also bei familien- oder erbrechtlichen Vereinbarungen weiterhin höchste Vorsicht geboten!

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