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Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 31.10.18 (IV ZR 313/17) die obergerichtlich und höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage entschieden, ob mit der Erhebung einer Klage auf Vorlage eines privatschriftlichen Nachlassverzeichnisses auch die Verjährung des Anspruchs auf Erteilung eines notariellen Nachlassverzeichnisses gehemmt wird.
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BGH, IV ZR 313/17, Leitsatz:

„Der im Rahmen einer Stufenklage von dem Pflichtteilsberechtigten geltend gemachte Anspruch auf Auskunft durch Vorlage eines privatschriftlichen Nachlassverzeichnisses hemmt grundsätzlich auch die Verjährung des Anspruchs auf Auskunft durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses.“

Sachverhalt (gekürzt):

Die Klägerin verlangt von den testamentarisch zu Erben eingesetzten Beklagten ihren Pflichtteil nach der am 19.12.11 verstorbenen Erblasserin.
Am 29.12.14 reichte sie einen Prozesskostenhilfeantrag für ihre beabsichtigte Stufenklage ein, mit der sie auf der ersten Stufe beantragte, die Beklagen zu verurteilen, ihr Auskunft über den Bestand des Nachlasses durch Vorlage eines privatschriftlichen Nachlassverzeichnisses zu erteilen.
Nach der mündlichen Verhandlung vom 19.04.16 änderte die Klägerin mit Schreiben vom 01.07.16 ihren Antrag und verlangte nunmehr die Errichtung eines notariellen Nachlassverzeichnisses.
Sogleich erhoben die Beklagten die Einreden der Verjährung sowie der Dürftigkeit des Nachlasses.

[Schon außergerichtlich hatte der Beklagte erklärt, der Aktiv-Nachlass habe sich auf nur 651,03 € belaufen, der Passiv-Nachlass durch die Beerdigungskosten jedoch auf 8.429,32 €.
Die drei Eigentumswohnungen der Erblasserin im Werte von 250 T€ seien den Beklagten bereits 2003 gegen Nießbrauchsvorbehalt geschenkt worden.]

Das Landgericht Düsseldorf verurteilte die Beklagten antragsgemäß. Die Berufung zum OLG Düsseldorf blieb erfolglos (Urt. v. 01.12.17, I-7 U 10/17); allerdings nahm das OLG hinsichtlich der Verpflichtung zur Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses zugunsten der Beklagten einen Haftungsbeschränkungsvorbehalt ins Urteil auf.
Die vom OLG Düsseldorf zugelassene Revision wies der BGH zurück.

Hintergrund – Hemmung der Verjährung:

Pflichtteilsansprüche verjähren innerhalb der kurzen Regelverjährung von drei Jahren (§§ 195, 199 BGB). Eine Ausnahme besteht für den Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten (§ 2329 BGB).
Innerhalb derselben Zeit verjähren auch die zu seiner Durchsetzung gewährten Hilfsansprüche auf Auskunft und Wertermittlung.

Die Verjährung kann durch aktive Rechtsverfolgung gehemmt werden, z.B. durch die Erhebung einer Klage (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) oder die Veranlassung der Bekanntgabe des erstmaligen Antrags auf Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage (§ 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB).
Nach der Rechtsprechung des BGH hemmt eine Klage die Verjährung jedoch nur in der Gestalt und in dem Umfang, wie der Anspruch mit der Klage rechtshängig gemacht worden ist, und grundsätzlich von dem geltend gemachten Streitgegenstand bestimmt wird.
Hiervon lässt die BGH-Rechtsprechung Ausnahmen zu, wenn die geltend gemachten Ansprüche

  • materiell-rechtlich wesensgleich sind,
  • dem gleichen Endziel dienen und
  • der zur Begründung des später erhobenen Anspruchs vorgetragene Lebenssachverhalt in seinem Kern bereits Gegenstand einer früheren Klage gewesen ist.

Die wesentlichen Entscheidungsgründe:

Der BGH sieht die Voraussetzungen der Erstreckung der Verjährungshemmung bei den Auskunftsansprüchen aus § 2314 Abs. 1 Satz 1 (privatschriftliches Nachlassverzeichnis) und Satz 3 BGB (notarielles Nachlassverzeichnis) als erfüllt an:
Sie entsprängen dem gleichen, vom Klagevortrag umfassten Lebenssachverhalt und dienten dem gleichen Endziel.
Auch seien die Auskunftsansprüche des § 2314 BGB materiell-rechtlich wesensgleich.

„Schuldner des Verzeichnisses ist jeweils der Erbe. Das Verzeichnis soll es dem Pflichtteilsberechtigten ermöglichen, durch eine Auskunft über den Bestand des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalles und die ergänzungspflichtigen Schenkungen seinen Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch zu berechnen. Der Anspruch auf Vorlage des notariellen Nachlassverzeichnisses“ entspringe im Streitfall „auch demselben mit der Klage bereits vorgetragenen Lebenssachverhalt und dient demselben Ziel, nämlich der Klägerin die Bezifferung ihres Pflichtteilsanspruchs zu ermöglichen.“ (Rz. 22)

 

Anmerkung von Fachanwalt für Erbrecht Ingo Lahn, Hilden:

Der Pflichtteilsberechtigte hat die Wahl, ob er vom Erben ein privatschriftliches oder ein notarielles Nachlassverzeichnis verlangt. Er kann die Verzeichnisse sogar kumulativ neben- oder nacheinander fordern (BGHZ 33, 373, III. 1.; BGHZ 193, 260, Rn. 8; BGH, IV ZR 313/17, Rn. 20). Allerdings dürfte es regelmäßig rechtsmissbräuchlich sein, nach Vorliegen eines notariellen Verzeichnisses auch noch ein privates Verzeichnis zu verlangen.

Es kann nur jedem Pflichtteilsberechtigten angeraten werden, spätestens dann, wenn er den Eindruck gewinnt, dass der Erbe die Auskunft verzögert oder Vermögenswerte verschweigt, ein notarielles Nachlassverzeichnis zu verlangen.
Denn der Notar muss den Nachlassbestand selbst ermitteln und zum Ausdruck bringen, dass er für den Inhalt des Verzeichnisses die Verantwortung übernimmt.
Daher bietet das notarielle Nachlassverzeichnis regelmäßig die größere Gewähr für Klarheit, Übersichtlichkeit und Richtigkeit (so BGHZ 193, 260, Rn. 8) sowie Vollständigkeit (so BGH, Beschl. v. 13.09.2018, I ZB 109/17) des Verzeichnisses.
Vor allem lehrt die Erfahrung, dass sich in der Notarkanzlei häufig „Erinnerungslücken“ schließen und bislang unbenannte Vermögensgegenstände auftauchen.

Ausblick im konkreten Fall: Außer Spesen nichts gewesen?

Ein schöner Fall zur Fortbildung des Rechts, doch am Ende dürfte die Klägerin wohl leer ausgehen.

Wenn die Beklagten als Erben  im Hinblick auf die Immobilienschenkungen (gegen Nießbrauchsvorbehalt) aus dem Jahre 2003 die Pflichtteilsergänzung wegen der Dürftigkeit des Nachlasses verweigern können, dann kommt nur noch eine Haftung der Beklagten als Beschenkte  in Betracht (§ 2329 BGB).
Für die Haftung des Beschenkten gilt jedoch die Sonderverjährung des § 2332 BGB: Danach verjährt der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten innerhalb von drei Jahren, gerechnet ab dem Erbfall.

Die Erblasserin war am 19.12.11 verstorben, folglich verjährte der Anspruch der Klägerin auf Pflichtteilsergänzung gegen die Beklagten als Beschenkte am 19.12.14.
Der Prozesskostenhilfeantrag für die Stufenklage wurde erst am 29.12.14 bei Gericht eingereicht, so dass er die bereits abgelaufene Verjährung nicht mehr hemmen konnte.
Damit dürften Pflichtteilsergänzungsansprüche wegen der Immobilienschenkungen gegen die Beklagen nicht mehr durchsetzbar sein.

Die Frage, ob die Klägerin wirklich leer ausgehen wird, dürfte sich wohl in den Anwaltsregress verlagern.

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